John Boyne: Haus der Geister (Buch)

John Boyne
Haus der Geister
(The House Is Hounted, 2013)
Aus dem Englischen von Sonja Finck
Piper, 2014, Paperback mit Klappnebroschur, 332 Seiten, 15,99 EUR, ISBN 978-3-492-06004-2 (auch als eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

England 1867: Nach dem Tod ihres Vaters verlässt die junge Lehrerin Eliza Caine London und nimmt in Norfolk eine Stelle als Gouvernante an. Sie hat nicht die geringste Ahnung, was sie erwartet – und schon die Ankunft in Gaudlin Hall steht unter keinem guten Stern.Am Bahnhof stürzt sie beinahe vor einen einfahrenden Zug, in dem alten Herrenhaus wird sie nur von ihren beiden Schützlingen Isabella und Eustace Westerley, aber keinem Erwachsenen erwartet, in ihrer ersten Nacht glaubt sie, jemand würde sie an den Beinen packen und ihr etwas Schlimmes antun wollen. Und so geht es auch die nächsten Tage weiter.

Mr. Raisin, der Anwalt der Westerleys, gibt sich genauso wortkarg wie alle anderen Bewohner des Ortes, insbesondere nachdem sie erfahren haben, für wen Eliza arbeitet. Allerdings gibt sie nicht auf, nach Antworten zu suchen, erst recht nicht, als sie nach und nach erfährt, welche Tragödie die Familie heimsuchte und was mit ihren Vorgängerinnen passierte, denn in nicht einmal einem Jahr ist sie die sechste Gouvernante auf Gaudlin Hall.

Schnell wird Eliza klar, dass ihr Leben in Gefahr ist, doch will sie die Kinder, um die sich niemand kümmert, auf keinen Fall im Stich lassen. Hilfe hat sie keine zu erwarten, da selbst der Pfarrer alle ihre Schilderungen als hysterisches Geschwätz abtut, von wegen „es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt“.

Der Grusel-Klassiker „Schloss des Schreckens“ lässt grüßen!

Wer den britischen Schwarz-Weiß-Film kennt, kann in etwa erahnen, wie das Buch aufgebaut ist, die Handlung verläuft und sich die Atmosphäre entfaltet. Allerdings wird es hier nicht dem Zuschauer/Leser überlassen zu entscheiden, ob sich die unheimlichen Phänomene tatsächlich ereignen oder nur in der Fantasie der Gouvernante existieren, vielmehr räumt John Boyne sehr schnell alle Zweifel daran aus, dass Geister in Gaudlin Hall ihr Unwesen treiben. Die Existenz solcher Phänomene ‚verteidigt‘ er mit Hilfe von Shakespeare- und Dickens-Zitaten.

Noch ein Unterschied zu dem Film ist, dass nicht die Kinder die Verkörperung des Unheils sind, dem die Gouvernanten zum Opfer fielen, die sich vor Hautfigur Eliza Caine um Isabella und Eustace kümmerten, sondern eindeutig der eifersüchtige Geist, der die beiden keiner anderen Frau anvertrauen will und aktiv wird, sobald er seine Wünsche gefährdet sieht. Noch lebendig zerstört diese Person selbst ihr familiäres Glück und kehrt als Geist wieder, um die Kinder in ihrer Obhut zu behalten, wobei sie keinerlei Skrupel kennt und sogar mordet.

Nach und nach wird die Tragödie enthüllt, doch nicht alle Fragen werden erschöpfend behandelt, sodass die geheimnisvolle Stimmung erhalten bleibt, aber man ahnt, welche Geheimnisse die Westerleys mit in ihr Grab nahmen. Für Eliza, die sich wie der Leser alles zusammenreimt, gibt es noch eine positive Überraschung, aus der ein Quasi-Happy-End resultiert, das sogar die Option auf eine Fortsetzung beinhaltet.

Auch wenn man als erfahrener Leser vorhersehen kann, was aufgedeckt wird und wie sich die Geschehnisse entwickeln, so fühlt man sich doch gut von dem Roman unterhalten. John Boyne schafft es, das viktorianische Zeitalter lebendig werden zu lassen durch den altertümlich anmutenden Stil, die realistisch inszenierten Dialoge und das Denken und Handeln der Protagonisten, die Kinder ihrer Ära sind. Die unheilvolle Atmosphäre eskaliert langsam und zieht das Publikum in ihren Bann.

Sämtliche Erwartungen werden erfüllt – und genau das ist es, was man sich von einem fesselnden Buch wünscht, denn völlig neue Themen zu finden, ist inzwischen nahezu unmöglich geworden, sodass die eigentliche Kunst eines Autors darin besteht, das Bekannte interessant aufzubereiten, was John Boyne mit diesem Mystery-Thriller bravourös gelungen ist.