Benjamin Percy: Roter Mond (Buch)

Benjamin Percy
Roter Mond
Übersetzung: Michael Pfingstl
Penhaligon, 2014, Hardcover, 640 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-7645-3123-2 (auch als eBook erhältlich)

Von Christel Scheja

Der in Oregon aufgewachsene Benjamin Percy unterrichtet heute „Creative Writing“ an der Iowa State University. Schon in seinem ersten Roman, „Wölfe der Nacht“, spielten Werwölfe eine wichtige Rolle, nun greift er das Motiv der Lykanthropie auch in seinem neusten Roman, „Roter Mond“, auf, einer düsteren Erzählung aus der nahen Zukunft.

Seit Jahrzehnten werden die Lykaner in den Vereinigten Staaten aufgespürt und liquidiert oder interniert, wenn sie nicht dazu bereit sind, ein Medikament einzunehmen, das ihre wölfische Natur abschwächt, aber auch schwere und nach Jahren tödliche Nebenwirkungen hat. Diese Unterdrückung hat zu einem schwelenden Konflikt in der Bevölkerung geführt, der sich immer wieder in Gewalt- und Terrorakten äußert, Rebellengruppen geschaffen hat und die Regierung nun zwingt, schärfer gegen die Lykaner vorzugehen.

Weil das Land dadurch in einen Krieg gerät, werden viele waffenfähige Männer eingezogen. Patrick muss aus diesem Grund zu seiner vom Vater geschiedenen Mutter ziehen, die auf der anderen Seite des Kontinents lebt. Auf dem Flug nach Portland wird die Maschine jedoch überraschend angegriffen. Nur Patrick überlebt das Massaker, das ein wildgewordener Lykaner anrichtet, was ihm zweifelhaften Ruhm einbringt – wie er in der Folge in der Highschool zu spüren bekommt. Schließlich ist auch er alt genug, um in die Armee zu gehen und sich in den Dienst des Vaterlandes zu stellen.

Claire hat bisher ein ruhiges, gutbürgerliches Leben geführt. Eines Tages stürmen Regierungsbeamte das Haus und töten alle Bewohner. Nur das junge Mädchen entkommt gerade noch so und schlägt sich – vagen Hinweisen folgend – zu ihrer Tante durch. Dabei erwachen genau die Sinne, die sie eigentlich all die Jahre ignoriert hat. Denn Claire ist eine geborene Lykanerin und kann sich nicht länger ihrer wahren Natur verschließen. Allerdings zeigt sich, dass auch ihre Eltern Geheimnisse vor ihr hatten, die nun durch die Tante nach und nach ans Licht kommen.

Senator Chase Williams ist auf dem besten Wege, Präsident zu werden, da er einen harten Kurs gegen die Lykaner vertritt, aber auch die Suche nach einem Impfstoff gegen die „Krankheit“ forciert – etwas, das viele seiner Wähler schätzen. Allerdings hat er auch eine dunkle und lasterhafte Seite, die ihm schließlich zum Verhängnis wird und nur von seinem besten Freund verborgen werden kann.

Auf drei verschiedenen Handlungsebenen, die sich aber mehrfach kreuzen, erzählt Benjamin Percy seine düstere Geschichte aus der nahen Zukunft, die durchaus reale Züge hat, wenn man genauer hinschaut und die übernatürlichen Elemente außer Acht lässt. Denn Terror und Fremdenhass haben auch in der amerikanischen Gegenwart ihren Platz und sind ein mehr als aktuelles Thema.

Der Autor arbeitet den Hintergrund aber auch noch weiter aus – kleine Szenen illustrieren gekonnt, wie sich die angespannte Situation zwischen Lykanern und Menschen immer noch mehr verschärft, macht deutlich, dass es auf beiden Seiten Opfer und Täter gibt, die Situation gar nicht so klar zu sein scheint, wie man zunächst glaubt.

Natürlich folgen die Lykaner ihrer wölfischen Natur, aber nicht alle wollen sich zum Beherrscher über die Menschen aufschwingen, viele versuchen auch nur friedlich in deren Mitte zu leben und haben gelernt, sich zu beherrschen, wie Claire und ihre Familie. Gerade diese sind von einem guten Überlebensinstinkt geprägt, der aber nicht in Blutraserei ausartet. Patrick hingegen wird kurzfristig und ungewollt zu einer Galionsfigur für Fanatiker wie die „Jungen Amerikaner“, die ihn für ihre Clique gewinnen und zu Attentaten gegen die am Ort lebenden Lykaner verleiten wollen. Er bewahrt sich aber seinen gesunden Menschenverstand und gerät so immer mehr zwischen die Fronten, was nicht zuletzt daran liegt, dass er Claire kennen und lieben lernt. Und nicht zuletzt ist da Senator Chase Williams, ein Sonnyboy mit Charisma und einem gut funktionierenden Team, der zwar für die neuen Werte steht und von hartem Durchgreifen spricht, aber selbst auch eine dunkle Seite hat, die ihm schließlich zum Verhängnis wird, weil er einmal zu oft dem Laster verfällt.

Routiniert baut der Autor den Konflikt auf, enthüllt nach und nach den Hintergrund der ganzen Geschichte und bringt die Handlungsstränge zusammen. Bis etwa zur Mitte kann man das Buch nicht aus der Hand legen, weil es ein faszinierend bedrückendes Szenario aufbaut und durch kleine aber feine Details zu überraschen weiß. Danach fällt die Geschichte aber langsam und stetig ab, scheint der Autor doch nicht mehr zu wissen, wie er die Verwicklungen intelligent auflösen soll, zumal die lykanischen Gegenspieler eher blass und klischeehaft bleiben. Selbst Chase Williams scheint nur aus einer Ansammlung von Vorurteilen gegenüber Senatoren zu bestehen – nach außen hin den Saubermann darstellend, in Wirklichkeit aber korrupt und lasterhaft, ein Mann, der in erster Linie nur an seinen eigenen Vorteil denkt. Am Ende verflacht auch er völlig und leitet einen eher enttäuschenden Showdown ein, der weder Hand noch Fuß hat und letztendlich nur auf Allgemeinplätze baut. Allein Claire und Patrick bleiben interessant, müssen sie sich doch immer wieder überraschende Entscheidungen treffen, die sich nicht unbedingt immer vorhersehen lassen – ohne dass sie dabei jedoch ihre Natur verleugnen.

„Roter Mond“ erweist sich als solide, actionreiche Dystopie, die zumindest in der ersten Hälfte durch ein interessantes Szenario zu fesseln weiß und mit zwei facettenreichen jungen Charakteren aufwartet. Nur die Auflösung des Konflikts und der Abschluss der Abenteuer können nicht wirklich überzeugen, da der Autor immer mehr auf Klischees zurückgreift und die Geschichte mehr oder weniger zu einem halbgaren Happy End prügelt.