Marsch der Krabben 2: Das Krabbenimperium (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 30. Oktober 2013 09:14
Marsch der Krabben 2
Das Krabbenimperium
(La Marche du Crabe: L'empire des crabes)
Text & Artwork: Arthur de Pins
Übersetzung: Tanja Krämling
Splitter, 2013, Hardcover, 120 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 978-86869-512-0
Von Frank Drehmel
Die (r)evolutionäre Erkenntnis der kleinen quadratischen Krabbe Sonne, dass ihre Spezies nicht länger gezwungen ist, auf schnurgeraden Bahnen bis zum nächsten Hindernis und dann wieder zurück durchs Leben zu wandern, zeitigt beängstigende Folgen: nicht nur dass fundamentalistische Schreihälse Kurvenlaufen als Affront gegen die göttliche Ordnung und die Natur verdammen, sondern auch andere Spezies wie die Hummer und Taschenkrebse stehen den neu entdeckten Fähigkeit aus naheliegendem Grund feindselig gegenüber: durch die Fähigkeit des Kurvenlaufes ist die Paarung der kleinen Krabben nun nicht länger von zufälligen Begegnungen an Kreuzungspunkten ihrer geraden Bahnen abhängig, sondern der Vermehrung sind keine orthogonalen Grenzen gesetzt; und mehr Vermehrung bedeutet weniger Nahrung für einen selbst.
Infolge der ausufernden Konflikte verliert unser Held seinen Platz unter den Krabben und landet nach einem skurrilen Unfall und nach scheinbar endlosem Fallen in der Tiefsee. Hier erwarten ihn gleichermaßen bizarre wie freundliche Kreaturen, zu denen sein legendärer Ruf schon vorgedrungen ist. Das Wohlwollen dieser Fremden geht sogar soweit, dass sich ein Fisch namens Achilles aus der Gattung der „coccosteus oblongus“ als Sonnes Mr. Miyagi berufen fühlt und die kleine Krabbe unter seine Flossen nimmt, in dem er ihr ihre Bedeutung im Kontext der Evolution erläutert – es waren die kleinen quadratischen Krabben, die vor Erdzeitaltern das Chaos des Fauna mit der Erfindung der Nahrungskette ordneten – und ihr zudem handfesten Kampfunterricht nach dem Motto angedeihen lässt, „Weiche den Tentakeln des Kraken mit verbundenen Augen aus!“.
Unterdessen überschlagen sich „weiter oben“ die Ereignisse: nachdem ein selbsternannter Führer das „Imperium der Krabben“ ausgerufen hat, in dem nur Platz für Geradheit ist und dessen Anhänger an einem Kreuz auf ihrem Rückenpanzer zu erkennen sind, formiert sich der Widerstand unter den Kurvenläufern, die ihrerseits ein Kreis kennzeichnet. Erschwerend kommt hinzu, dass die unterschiedlichen Ideologien mittlerweile die absonderlichsten Sektierer hervorbringen, angefangen bei den eher moderaten Geraden, die gegenseitige Hilfe beim Richtungswechsel nicht ablehnen, bis hin zu den Extremisten, die alle nur in eine einzige Richtung marschieren und deren Symbol das Gleichheitszeichen ist.
Während sich also ein großer Krieg anbahnt, haben Sonnes Freunde – Gitarre und Taxi – ganz andere Probleme, denn nach wie vor treiben sich am Strand Greenpeace-Aktivisten und ein Kamera-Team herum, für die die kleinen Krabben bestenfalls kuriose Studienobjekte, schlechtestenfalls Mutanten sind, sofern sie im Kreis laufen.
Obgleich die Story unterm Strich gegenüber dem federleichten ersten Album nicht nur an Stringenz und Übersichtlichkeit verloren hat, sondern gerade in den Szenen um die menschlichen Protagonisten deutlich bemühter und weniger elegant in den Kontext eingebettet wirkt, wartet Arthur de Pins „fabelhafte“ Parabel „Marsch der Krabben“ nach wie vor neben Situationskomik, witzigen Reminiszenzen und politischer Satire mit geradezu tiefgründigem philosophischen Untertönen auf, wobei der Autor den Fokus deutlich in Richtung gesellschaftliche und politische Szenarien rückt.
Aufgrund der zahlreichen Szenenwechsel und der Tatsache, dass sich ihrer Natur gemäß die Krabben äußerlich nicht oder kaum voneinander unterscheiden, ist der Handlung nicht immer mühelos zu folgen; allerdings wird die Mühe durch die Fülle der Ideen, die Lebendigkeit der Geschichte und eine überwältigende Humor-Dichte belohnt.
Das computergenerierte Artwork De Pins hat nicht nur aufgrund seiner künstlerischen Eigenständigkeit mit den pastellenen Farben und dem weitgehenden Verzicht auf konturierende Striche einen extrem hohen Wiedererkennungswert, sondern ist trotz des Computer- und Grafik-Programmeinsatzes charmant, diffizil, vielfältig, äußerst lebendig und in der Situationskomik auf den Punkt gebracht.
Fazit: Auch im zweiten Band ein humoristisches Feuerwerk! Urkomisch, intelligent und visuell außergewöhnlich. Ein echtes Highlight, an dem kein Funny-Fan vorbeikommt.