Patrick Rothfuss: Die Furcht der Weisen 1 – Die Königsmörder-Chronik, 2. Tag / Teil 1 (Hörbuch)

Patrick Rothfuss
Die Furcht des Weisen 1
Die Königsmörder-Chronik, 2. Tag / Teil 1
(The Wise Man’s Fear 1, The Kingkiller Chronicle: Day Two, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Jochen Schwarzer
Übersetzung der Gedichte und Lieder von Wolfram Ströle
Vollständige Lesung von Stefan Kaminski
Titelbild: Kerem Beyit
Hörverlag, 2013, 4 CDs, ca. 1618 Minuten, ca. 24,99 EUR, ISBN 978-3-86717-961-4

Von Irene Salzmann

Kote betreibt zusammen mit seinem Schüler Bast einen Gasthof in einem kleinen Nest. Seine Vergangenheit wird für ihn wieder lebendig, als sich seltsame Dinge ereignen und ein Chronist erscheint, der die wahre Geschichte von Kvothe, des Musikers, Sängers, Wissenschaftlers und Magiers, aufschreiben möchte.

Weder der legendäre Kvothe noch der Chronist ahnen, dass Bast alles arrangiert hat – aus einem triftigen Grund, den er dem Gast schließlich enthüllt. Kvothe kommt dem Wunsch des Chronisten nach anfänglichem Zögern nach und schildert seine glückliche Kindheit als Angehöriger einer fahrenden Schauspielertruppe, die entbehrungsreichen Jahre als Dieb und Bettler, seine Erfolge und Probleme als Student und Künstler.

An der Stelle, an der das (Hör-) Buch „Der Name des Windes“ endet, setzt „Die Furcht des Weisen“ nahtlos an. Aufgrund des Umfangs wurden Buch und Hörbuch in zwei Teile gespalten, von denen der vorliegende erste Teil der umfangreichere ist. Nach welchen Kriterien die Aufteilung erfolgte, weiß Klett-Cotta allein.

Der Kvothe der erzählten Geschichte ist nun 16 beziehungsweise 17 Jahre alt. Schnell haben die Meister seine Begabung erkannt, so dass er der jüngste Student aller Zeiten ist und rasch in höhere Ränge aufsteigt. Dadurch schafft er sich aber auch Neider unter den Lehrern und Kommilitonen. Seine ärgsten Feinde sind Meister Hemme und der Adlige Ambrose, der Kvothe schon einige Male großen Ärger bereiten konnte und es sogar schaffte, die schöne Denna, in die Kvothe insgeheim verliebt ist, zu umgarnen. Die Situation eskaliert in einem Maß, dass Kvothe fast der Universität verwiesen wird, er sich mysteriösen Magie-Angriffen ausgesetzt sieht und schließlich einen Plan ausheckt, um es Ambrose heimzuzahlen. Danach verlässt er für einige Monate die Stadt, damit sich die Wogen glätten, er sich einen Schirmherrn suchen kann und ihm – vielleicht – „der Name des Windes“, den er bisher bloß zufällig in Ausnahmesituationen fand, zuspringt.

Die gefährliche Reise führt Kvothe in ein fernes Land mit ihm unbekannten Bräuchen. Dank eines Empfehlungsschreibens und seines Listenreichtums schafft er es, vor Maer Alveron geführt zu werden und eine Anstellung zu erhalten. In dieser noch unsicheren Position entdeckt Kvothe, dass der Fürst von einem seiner Vertrauten vergiftet wird, doch tut er sich schwer, den einerseits klugen, andererseits arroganten Adligen davon zu überzeugen, wer die wahren Feinde sind. Überdies soll er dem Maer helfen, eine junge Frau aus einer ehrwürdigen Familie als Gemahlin zu gewinnen.

Die nächste Aufgabe ist sogar noch schwieriger, denn als Anführer von vier Söldnern wird von Kvothe verlangt, jene Räuber aufzuspüren, die die Steuereintreiber ermordet und die Gelder gestohlen haben. Einer von Kvothes Kameraden ist Tempi aus dem Volk der mysteriösen Adem, die angeblich kaum sprechen und dank der einbehaltenen Worte über eine Kraft verfügen, die sie praktisch unbesiegbar macht. Kvothe bemüht sich um Tempis Freundschaft und die Wahrheit hinter den Geschichten.

Wie schon das erste ist auch das zweite Buch äußerst komplex und detailreich, so dass es auf dem schmalen Grat zwischen ‚langweilig‘ und ‚faszinierend realistisch‘ balanciert. Patrick Rothfuss bleibt seinem Stil treu. In eine langsam voran schreitende Rahmenhandlung, die diesmal nur einen knappen Tag umfasst, ist die eigentliche Erzählung eingebettet, die mehrere Monate abhandelt.

Was vor Jahren geschah, ist maßgeblich für die aktuelle Situation, aber bloß ganz langsam fallen die Puzzlestücke an ihre Plätze und erlauben Spekulationen. Kvothe erwarb früh Ruhm, jedoch tat er Dinge, auf die er offenbar nicht stolz ist und die ihn bewogen, eine andere Identität anzunehmen, um alles hinter sich zu lassen. Die Gründe erzählt er dem Chronisten, aber die Geschichte ist noch nicht so weit gediehen, dass man die Zusammenhänge erkennt – und es sieht auch nicht so aus, als könne Kvothe wirklich ein neues Leben beginnen.

Wann die Rahmenhandlung in den Vordergrund rückten wird, ist noch offen, denn der Autor ist weit davon entfernt, jetzt schon alle Geheimnisse aufzudecken. Tatsächlich wirkt „Die Furcht des Weisen“ wie ein typischer ‚Mittelband‘, der den Plot zwar etwas voranbringt, jedoch die wesentlichen Antworten und relevanten Höhepunkte missen lässt.

Zwar verliert der Protagonist sein Ziel, die Chandrian, die seine Sippe ermordet haben, zu finden und Rache zu üben, nicht aus den Augen, allerdings kommt er seinen Feinden kaum näher. Die wenigen Spuren helfen ihm nicht wirklich weiter, und wer mehr weiß, hüllt sich ängstlich in Schweigen, spricht in Rätseln oder beruft sich auf widersprüchliche Mythen. Überdies muss er sich mit den naheliegenden Problemen auseinandersetzen: seinen Studien, die nicht immer von Erfolg gekrönt sind; der Hass und die Anfeindungen, die ihm von Ambrose und Meister Hemme entgegengebracht werden; die fortwährende Armut, die ihn in die Fänge der Wucherin Devi treibt; seine vergebliche Suche nach einem Schirmherrn, die ihn schließlich zum leicht zu verärgernden Maer führt; die geheimen Aufgaben, die er für ihn erledigt; das Wiedersehen und der heftige Streit mit Denna.

All diese Ereignisse treten in den Vordergrund und werden mit einer Ausführlichkeit geschildert, die den Zuhörer in die Geschehnisse hineinzieht. Obwohl man manchmal meint, die eine oder andere Passage – Lieder, Gedichte, Märchen, scheinbare Nebensächlichkeiten – hätte etwas kürzer ausfallen dürfen, so gibt es doch keine Längen, die Details sind sorgfältig ausgearbeitet und aufeinander abgestimmt, in vielen Fällen wird ihre Bedeutung erst später offensichtlich. Sehr faszinierend sind beispielsweise die Bräuche am Hofe des Maers, insbesondere die komplizierte Bedeutung, die den Ringen zukommt, die Kvothe von seinen Besuchern – von Freund und Feind – erhält. Auch die Mysterien, die sich um die Adem-Söldner ranken, sind der Erwähnung wert, erinnert doch so manches ihrer Lehren (die Philosophie, die Übungen) an das japanische Bushido, an das chinesische Schattenboxen und ähnliches.

Es ist vor allem Stefan Kaminski zu verdanken, dass man bei diesem Hörbuch mit seiner langen Laufzeit am Ball bleibt und Kapitel für Kapitel lauschen möchte. Die Lesung ist sehr lebendig und emotional. Jede Person verfügt über ihre eigene, unverwechselbare Stimme, Betonung, Satzmelodie – ein außergewöhnlicher Vortrag, bei dem man die Charaktere und ihre Umgebung mit dem inneren Auge zu sehen glaubt.

Das Hörbuch ist als ungekürzte Lesung im MP3-Format erschienen. In der aufklappbaren Papp-Box befinden sich 4 CDs, die fast 27 Stunden Hörvergnügen bieten. Das Cover wird von der Illustration des gebundenen Buches geziert. Im Innenteil finden sich Informationen zum Autor und Sprecher sowie eine Karte von den Ländern, die Kvothe bereist.

Alles in allem ist „Die Furcht des Weisen“ nicht nur eine gelungene Fortsetzung des spannenden (Hör-) Buchs „Der Name des Windes“, sondern auch ein einzigartiger Hörgenuss, wenn man sich für den Kauf des im Hörverlag erschienenen Hörbuchs entscheidet. Den Titel ist allen Fans der High Fantasy sehr zu empfehlen!