Edward Lee: Das Schwein (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 12. Mai 2013 11:39
Edward Lee
Das Schwein
(The Pig)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Markus Mäurer
Titelillustration von Francesco Sambo
Festa, 2013, Taschenbuch, 154 Seiten, 14,80 EUR
Von Carsten Kuhr
Leonardo D’Arvara geht noch zur Schule und doch weiß er schon, wie sein Leben weitergehen wird. Er hat eine Vision, eine Vision des perfekten Films. Beleuchtung, Linienführung, der Schnitt – das alles hat er in seinem Kopf bereits entworfen; nur an der praktischen Umsetzung hapert es noch.
Sein erster Versuch, sich das entsprechende Material, angefangen von den Kameras bis zum Schneidetisch, nicht ganz legal anzueignen führt zu einer 18monatigen Haftstrafe, in der er die unangenehme Seite des menschlichen Triebs leidvoll zu spüren bekommt. Seit rektaler Muskel ist nach dem Knast ebenso ausgeweitet, wie sein Gaumen, doch er gibt nicht auf. Und wirklich, ein zweiter Diebstahl gelingt, nun fehlen ihm nur noch schlappe vier Tausender, um seinen Traum umzusetzen. Ein Geldhai leiht ihm die Kohle, 100 Prozent Zinsen, na ja, mit dem Erfolg im Rücken, wird er das schon zurückzahlen können.
Als der Mafiosi nach einer Woche die 8000 Dollar einsammeln will, fällt unser Möchtegern-Regisseur aus allen Wolken, rechnete er doch mit einer Laufzeit von einem Jahr. Sein linker Hoden muss als Strafe dran glauben, dann wird er in einen von allen guten Geistern verlassenen Landstrich gekarrt, wo er in einem abgelegenen Haus für die Mafia Pornos der besonderen Art drehen darf. Analdehnungen, Spermaduschen, Natursekt und Kaviarspiele, Sodomie, selbst Snuff-Filme – die beiden heruntergekommenen, drogenabhängigen Nutten machen alles für den nächsten Schuss. Und Leonrado setzt alles mit Verve und Talent in filmische Kurzstreifen um, die sich bestens verkaufen lassen.
Als eines Tages die Tochter seiner Nachbarn, einer Gruppe von strenggläubigen Epiphaniern, unerwartet zu Besuch kommt, ist diese über die Zustände nicht etwa entsetzt, sondern so erregt, dass sie von dem verblüfften Leonardo verlangt, sie pervers zu missbrauchen. Kurz darauf bringen seine Mafia-Killer Leonardo ein Schwein, das als neuer Hauptdarsteller im nächsten Porno vorgesehen ist. Schon der orale Genuss des schwein´schen Spermas führt bei der Hauptdarstellerin zu unerwartet extremen Folgen; als Leonardo das Schwein dann schlachtet und verzehrt, beginnt er sich körperlich zu verändern...
Frank Festa und sein Verlag bürgen seit Jahrzehnten für beste Unterhaltung im Bereich der Phantastischen Literatur. Erst kürzlich hat er mit der von Kritik wie Lesern hochgelobten Crime-Reihe Neuland betreten, nun startet er eine weitere Sub-Edition. Festa Extrem so hat Verlagsinhaber Frank Festa seine neue Taschenbuchreihe genannt, in der, wie der Name andeutet, ganz besondere, nicht jugendfreie Titel erscheinen sollen.
Edward Lee macht den Anfang, mit „Rock-and-Roll-Zombies aus der Besserungsanstalt“von Bryan Smith ist der zweite Band bereits erhältlich. Mangels ISBN sind die Titel allerdings nur über den Verlag direkt zu ordern.
Dies vorausgeschickt komme ich nun zu der vorliegenden Novelle.
Wir kennen Edward Lee als Autor von Horror-Büchern, in denen er gerne und ausgiebig Splatter-Szenen mit gewaltbetonten sexuellen Akten kombiniert. Er will seine Leser provozieren, will sie verängstigen, ihnen aber gleichzeitig Lust bereiten. Vorliegend begibt er sich ganz in die Niederungen der menschlichen Sexualität hinab. Das Gebotene soll verstören, soll unappetitlich sein, soll an Grenzen rütteln und diese überschreiten. Nun ist das sicherlich Geschmackssache, zumal der Autor die Niederungen der menschlichen Sexualität und Perversionen vorliegend wirklich weidlich auslotet. Alles, was anrüchig, was verboten und verwerflich ist, wird im grellen Licht der Scheinwerfer thematisiert. Da treiben es die Hauptdarstellerinnen mit Tieren, werden Frauen vergewaltigt, gefoltert und während des Verkehrs grausam ermordet und ihrer Extremitäten und der Haut entledigt – wobei ich das Gefühl hatte, dass dies oft und ganz bewusst mehr Selbstzweck, als als notwendiger Bestandteil der Erzählung wäre. Über die Majorität der Seiten reiht der Autor eine perverse Szene an die andere, ohne dass er mich zumindest hier innerlich ansprechen konnte.
Ich blieb, über die ganze Länge des Buches hinweg, erstaunlicherweise distanziert, war nicht einmal wirklich vom Geschehen abgestoßen und geekelt – dazu war es schlicht zu abstrus – geschweige denn, dass sich mir gruselte. Das, was Lees andere Romane auszeichnet, seine Fähigkeit grenzwertige sexuelle Grausamkeiten mit einem übernatürlichen Geschehen zu paaren, blieb vorliegend auf der Strecke. Erst ganz zum Schluss hin kommt ein gewisses phantastisches Element hinzu, ohne dass dies die Erzählung aber wirklich bereichert.
Insgesamt bleibt mir der Eindruck, den Versuch in Händen zu halten, alles was sexuell anrüchig und verpönt ist, in einer Novelle zusammenzufassen, wobei leider der erzählerische Aspekt auf der Strecke blieb.