Das Schwarze Auge 107: Löwin und Mantikor, Jochen Hahn & Karsten Kaeb (Buch)

Das Schwarze Auge 107
Jochen Hahn & Karsten Kaeb
Löwin und Mantikor
Titelillustration von Arndt Drechsler
Karte von Ralf Hlawatsch
FanPro, 2009, Taschenbuch, 282 Seiten, 9,00 EUR, ISBN 978-3-89064-249-9

Von Christel Scheja

Es sind die kleinen Abenteuer, in denen es nicht unbedingt immer um Welten erhaltende Questen und das dramatische Ringen von Gut und Böse geht, sondern eher um sehr menschliche Eigenschaften wie Gier und Verachtung, Vorurteile und Misstrauen, die Aventurien eigentlich erst so lebendig machen.
Dementsprechend erscheinen in der Buchreihe um das Rollenspiel »Das Schwarze Auge« auch immer wieder Geschichten, in denen einfache Helden zu Wort kommen und sich in kleinen Abenteuern bewähren müssen.

Inja, eine junge Amazone aus Yeshinna, ist mit ihrer Lehrmeisterin Zahira unterwegs, um herauszufinden, warum die Salzlieferungen ausgeblieben sind. Da ein kalter Winter droht, ist es für die Frauen überlebenswichtig, ihre Fleischvorräte vernünftig einpökeln zu können. Das Mädchen ist zum ersten Mal seit langem wieder in der Welt unterwegs, aus er es die Amazonen einst retteten, nachdem ihre Familie von Wegelagerern umgebracht wurde.
Und so erlebt Inja ein Deja-Vu, als der Handelszug, dem sie sich angeschlossen haben, erneut überfallen wird und Zahira dabei ums Leben kommt. Inja selbst verdankt ihr Überleben nur einer rothaarigen Kriegerin, die weder Skrupel im Kampf noch Zurückhaltung in ihren Worten zeigt.
Nachdem ihre Lehrmeisterin bestattet ist, fragt sich Inja, ob es besser ist, umzukehren oder den Auftrag alleine auszuführen. Ausgerechnet eine Unterhaltung mit der Söldnerin, die sie beschützt hat, gibt den entscheidenden Ausschlag, denn Erethia ist sich sicher, dass die Männer keine normalen Straßenräuber waren, sondern durchaus den Auftrag gehabt haben könnten, gezielt zu morden. Das bedeutet aber auch, dass jemand verhindern will, dass die Amazonen ihre Salzlieferung erhalten.
Und so tun sich die beiden Frauen zusammen, um herauszufinden, wer dort ein falsches Spiel treibt und warum. Denn die Söldnerin mit dem schlechten Ruf, die eigentlich aus dem Adel stammt, hat das Wissen um die nur all zu irdischen Intrigen und Machenschaften, das Inja selbst fehlt. Erethia aber muss feststellen, dass die Ehrenhaftigkeit der Amazone auf sie abzufärben beginnt, auch wenn sie das eigentlich nicht will, und sie an Schwüre erinnert, die sie vor langer Zeit einst selbst gegenüber Rondra gesprochen hat.

Die Idee von »Löwin und Mantikor« ist interessant, hebt sie sich doch angenehm von den sonstigen hochmagischen Questen und düsteren Geheimnissen Aventuriens ab und zeigt, dass auch Abenteuer im Kleinen durchaus spannend sein können. Den Autoren gelingt es, Landschaft und Leute atmosphärisch zu beschreiben und so in Szene zu setzen, dass man sich auch als Spieler oder Spielleiter inspirieren lassen kann, wenn es um die Darstellung von Bauerndörfern und Herbergen geht.
Natürlich bedienen sie dabei auch eine Menge Klischees, angefangen mit den arroganten Adligen, die sich gegenüber dem einfachen Volk alles erlauben können, bis hin zu den gierigen Herbergsvätern oder bestechlichen Würdenträgern einer mächtigen Kirche. Trotzdem ist gerade die differenzierte Darstellung der Praois-Kirche gelungen, erlebt man erstmals einen Inquisitor, der sich nicht fanatisch schnell eine Meinung bildet, sondern pragmatisch und sachlich urteilt.
Leider bleibt das Buch dennoch nur Durchschnitt, da die Handlung selbst nicht wirklich in Gang kommt und sich am Ende sehr schwammig in Wohlgefallen auflöst. Einen wirklichen Höhepunkt gibt es nicht; die Motive der Gegenspieler bleiben so blass und oberflächlich wie die Hauptpersonen.

So kann »Löwin und Mantikor« zwar als Roman nicht wirklich überzeugen, für das Rollenspiel aber durchaus die eine oder andere spannende Anregung geben.