Mark Hodder: Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack (Buch)

Mark Hodder
Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack
(The strange affair of Spring Heeled Jack)
Aus dem Englischen übersetzt von Kristina Koblischke
Titelillustration von Daniel Tyka
Bastei Lübbe, 2013, Paperback mit Klappenbroschur, 526 Seiten, 15,00 EUR, ISBN 978-3-404-20699-5 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

In lam yakhum ma tureed, fa´ariid ma yakhoon (Geschieht nicht, was du willst, dann lerne zu wollen, was geschieht) – Seite 191

London im Jahre des Herrn 1861. Sir Richard Francis Burton ist nach Jahren, in denen er die Welt bereist hat, in denen er unter anderem verkleidet nach Mekka gepilgert ist und nach den Quellen des Nils gesucht hat, zur Ruhe gekommen. Zwar wurde er von seinem einstigen Freund um den wissenschaftlichen Ruhm betrogen, als Erster die Quellen des Nils entdeckt zu haben, doch sein weiterer Lebensweg scheint vorgezeichnet.

Heirat, die Berufung zum Konsul in Damaskus oder Brasilien; Zeit, seine vielen Reisen, Erlebnisse und Erkundungen zu Papier zu bringen und zu veröffentlichen. Und doch soll alles anders kommen als erwartet. In einem der anrüchigen Viertel Londons wird er scheinbar unmotiviert von einer Legende angegriffen. Spring Heeled Jack, ein Wesen mit dem man unartigen Kindern Angst einjagt, ein merkwürdiger Mann auf elastischen Stelzen, überfällt Burton und warnt ihn, von seinem eingeschlagenen Lebensweg abzuweichen. Damit aber weckt er nur das Interesse Burtons, der kurz danach zum Premierminister einbestellt wird. Dieser beauftragt ihn mit der Aufklärung der Entführung von Kaminkehrerjungen durch etwas, das selbst die Metropole, in der sich die Menschen zu Göttern aufgeschwungen haben, in denen Tiere wie Menschen von den Eugenikern verändert werden und Technokraten gigantische Maschinen entwickeln, noch nicht gesehen hat – Werwölfe gehen im East End um.

Bei seinen Recherchen in Whitechapel und dem East End kommt der Neu-Agent in Kontakt mit der Gilde der Kaminkehrerjungen. Mit Hilfe der aufgeweckten Jungen und ihres Anführers kommt er einer Verschwörung auf die Spur, die nicht nur geniale Wissenschaftler und perverse Sadisten in ihren Reihen vereint, sondern die auch die Vergangenheit und Zukunft der Welt verändern will…

Gibt es so etwas Abgefahrenes wie den vorliegenden Roman noch einmal? Eine Zeitreisegeschichte in der ein Wissenschaftler auf seinen eigenen Vorfahren trifft ist inkludiert, dazu gesellt sich ein Steampunk-London mit genetisch aufgerüsteten Tiermenschen, Kaminkehrer, die direkt aus Dickens „Oliver Twist“ zu kommen scheinen und eine historische Gestalt, die so ganz anders agiert, als bekannt. Das bietet dem Leser all das, was er von einem intelligenten, unterhaltsamen Steampunk-Titel erwartet – die historische Kulisse, die endlich einmal nicht verklärt dargestellt wird, in der die Umweltverschmutzung, der allgegenwärtige Dreck und Gestank, die Rauchschwaden und der Missbrauch der unteren Schichten offen angesprochen werden, aber eben auch die sonderbaren technischen Errungenschaften ihren Platz finden. Mechanisch betriebene Hochräder, Veloziped genannt, ganz eigene Hubschrauber, Rotorstühle benannt, gigantische Luftflöße und geschickt darin verwoben die Geschichte eines Mannes, eines Forschers, der sich selbst, den Sinn in seinem Leben sucht – und findet. Hinzugefügt hat der Autor seinem Erstlingswerk dann noch Elemente, die er aus Kriminalgeschichten entlehnt hat, einige versteckte Anspielungen auf bekannte Kino-Blockbuster – Bond darf hier nicht fehlen – und jede Menge Geheimnisse. Ein wenig zu kurz gekommen ist bei dieser Massierung an Elementen die Zeichnung einer glaubwürdigen weiblichen Figur; hier gab es anfänglich tolle Ansätze, die Hodder dann leider im Sand verlaufen ließ.

Geschickt spielt der Autor intelligent und mit einem Augenzwinkern mit dem alten Topic, was wäre, wenn ein Mensch seinem Vorfahren bei einer Zeitreise sich selbst begegnet. Dem hat Hodder dann bekannte Persönlichkeiten der Ära beigefügt: Charles Darwin, Florence Nightingale, Isambard Kingdom Brunel, Henry de La Poer Beresford, dritter Marquis de Waterford, haben ihren Auftritt, ja füllen oftmals gar sensationelle Rollen aus. Hier jongliert Hodder mutig und letztlich erfolgreich mit historischen Fakten und Phantasie, irrwitzigen Einfällen – ich erwähne, ohne spoilern zu wollen, hier nur einen sprechenden orangefarbenen Orang-Utan – und jeder Menge Tempo. Das Ganze fügt sich im Finale zu einem so sicherlich nie erwarteten Gesamtbild, das die aufgeworfenen Fragen erschöpfend und befriedigend beantwortet, die Möglichkeit einer Fortsetzung offeriert, den Roman zugleich aber auch in sich stimmig abschließt.

Zu erwähnen sei noch, dass das Werk verdientermaßen mit dem Philip K. Dick Award ausgezeichnet wurde und Lübbe sich mit der äußeren Gestaltung und Aufmachung, die an eine historische Zeitung erinnert, viel Mühe gegeben hat.