Judith & Christian Vogt: Die zerbrochene Puppe (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Dienstag, 26. Februar 2013 10:13
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Judith & Christian Vogt
Die zerbrochene Puppe
Titelillustration von Oliver Graute
Feder & Schwert, 2012, Taschenbuch, 400 Seiten, 12,99 EUR, ISBN 978-3-86762-156-4 (auch als eBook erhältlich)
Von Carsten Kuhr
Es sollte der Triumphzug nicht nur von Æmelie, einer genialen Erfinderin, sondern der Frauenbewegung schlechthin werden. Zum ersten Mal wurde eine Wissenschaftlerin, eine Frau, zum großen Kongress nach Venedig eingeladen um dort nicht nur die bahnbrechende Erfindung einer neuen, revolutionären galvanischen Batterie vorzustellen, sondern vor dem versammelten Auditorium der Forscher aus allen Herren Länder zu sprechen.
Begleitet von Naðan, ihrem Mann aus verarmtem Adelsgeschlecht, bettet sie sich im Hotel zur Ruhe. Tief in der Nacht sucht eine Legende ihr Zimmer auf. Tote, so die Mähr, an die niemand wirklich glauben will, werden von skrupellosen Wissenschaftlern zum Leben erweckt – Æmelie und ihr Mann könnten das Gerücht jetzt bestätigen. Naðan gelingt in letzter Sekunde die Flucht – von seiner Frau bleibt ihm nur deren Puppe Ynge, die seit der Ermordung seiner geliebten Gattin in seinem Geist mit ihm spricht und ihn anleitet. Die Suche nach dem Mörder führt Naðan nach Æsta, einem gigantischen Eisberg, auf dem Menschen eine Stadt errichtet haben. Ausgebeutete Arbeiter, Huren und Bettler fristen hier ihr kärgliches, rechtloses Dasein, während der Adel seine Feste feiert. Künstliche Menschen, angetrieben von einer neuartigen Energiezelle, sollen für neuen Aufschwung sorgen – angetrieben von der Erfindung von Naðan Gattin. Verzweifelt, angeleitet von der Stimme der Puppe, macht er sich daran, die Schuldigen aufzuspüren und zu entlarven; doch wem kann er trauen, wer ist wirklich auf seiner Seite…?
Seit einigen Jahren ist Steampunk in aller Munde. Verlage aller Couleur reißen sich um entsprechende Titel, die zumeist das viktorianische Zeitalter verklärt darstellen. Oliver Hoffmann und seine Verlagskollegen haben den Trend früher als viele ihrer Kollegen entdeckt und gefördert und sie suchen immer nach etwas Besonderem, etwas Anderem. Chris Schlichts „Maschinengeist“ oder S. M. Peters „Die Götter von Whitechapel“ bewiesen, dass man auch und gerade in Steampunk-Romanen gesellschaftskritisch unterhalten, auf Missstände hinweisen und trotzdem spannend erzählen kann.
Auch im ersten Steampunk-Werk der Eheleute Vogt geht es nicht um ein verklärt dargestelltes Leben in und um London, sondern um etwas Anderes, weit Überzeugenderes – um eine künstliche Insel, auf der die Adeligen, Bankiers und Unternehmer von der Ausbeutung ihrer Arbeiter in Saus und Braus leben. Dass sie sich weder um ihre Mitmenschen noch um Recht und Gesetz kümmern ist da wenig überraschend. Soziale Konflikte, der Aufstand des hungernden Proletariats, soll nicht etwa durch Besserung der Lebensumstände, sondern durch Ersatz der pöbelnden Schicht durch künstliche, zombieähnliche Wesen erfolgen. Ein ebenso perfider, wie glaubwürdiger Plan, der es dem Autorenehepaar ermöglicht, ihre ganze Phantasie spielen zu lassen. Neben Luftschiffen, mechanischen Flügeln oder der galvanischen Brennstoffzelle wirken insbesondere die störungsanfälligen, zunächst noch sehr plumpen künstlichen Wesen dabei als Aufhänger für die Suche nach den Schuldigen. Dabei ist unser Erzähler Naðan keinesfalls ein typischer Held. Er ist schwach, zögerlich, erliegt der Versuchung durch die Huren, in deren Haus er eine billige Bleibe gefunden hat, bereut und verzweifelt. Dennoch wagt er sich, angetrieben durch die Stimme seine Frau, die ihn aus Ynge anspornt, anleitet und auch so manches Mal rügt, in die Höhle des Löwen. Durch seine panisch geweiteten Augen erleben wir mit, wie und wo die künstlichen Menschen geschaffen werden, wie Naðan sich angetrieben durch seine Furcht hineinwirft ins Abenteuer und an den Gefahren wächst.
Eingebettet haben die Autoren ihren Plot in ein ganz eines Setting. Die Wikinger haben, dank einer weiteren, durch Vulkanausbrüche initiierten Eiszeit, lange Zeit über Europa geherrscht, die Friesen sind ein eigenständiges Volk geblieben, die entsprechenden Namen, Sprache und Kultur legen beredt Zeugnis davon ab.
Als Fazit bleibt mir, dass der Roman nicht nur faszinierend zu unterhalten weiß, sondern, dass hier auch Autoren ihre Stimme erhoben haben, die beweisen, dass sie eigenständig, inhaltlich tiefgründig und gleichzeitig spannend zu unterhalten wissen.