Kelley Armstrong: Biss der Wölfin (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 22. Dezember 2012 11:18
Kelley Armstrong
Biss der Wölfin
(Frostbitten)
Aus dem kanadischen Englisch übersetzt von Christine Gaspard
Knaur, 2012, Taschenbuch, 476 Seiten, 9,99 EUR, ISBN 978-3-426-50883-1 (auch als eBook erhältlich)
Von Carsten Kuhr
Elena Michael hatte es in ihrem Leben nie leicht. Nach dem Tod ihrer Eltern wurde sie von einer Pflegefamilie zur nächsten weitergereicht, ihre großen Augen und die blonde Mähne führten nur allzu oft dazu, dass sich die Pflegeväter ein wenig zu sehr für das Kind zu interessieren begannen. Nachdem sie dem Kreislauf aus Jugendheimen und Adoptionen entkommen war, baute sie sich eine Karriere als Journalistin auf – bis sie von einem Werwolf entführt und infiziert wurde. Mittlerweile ist sie mit Clay, einem, nein dem gefährlichsten Werwolf Nord-Amerikas verheiratet, Mutter von Zwillingen und kurz davor, zum Alpha ihres Rudels zu werden.
Die Jagd nach einem jungen Mutt, einem renegaten Werwolf, der keinem Rudel angehört, führt sie und ihren Mann nach Alaska. Hier in Anchorage treffen sie auf einen alten Bekannten Clays, der von einem Rudel von immigrierten Mutts erpresst wird. Mehr noch, die aus der Ukraine und anderen GUS-Staaten nach Alaska geflüchteten Mutts lassen eine ganze Spur entführter, vergewaltigter und ermordeter Frauen hinter sich zurück. Die Jagd nach den verbrecherischen Werwölfen erweist sich als weit gefährlicher als zunächst gedacht – mischen sich doch auch noch Wendigo-ähnliche Wesen ein, die bis dato lediglich ein Mythos waren…
Die Kanadierin Kelley Armstrong war eine der ersten Autorinnen, die das, was heute als Urban-Fantasy in aller Munde ist, zu schreiben begann. Mit ihrer Reihe um übernatürliche Wesen hat sie nicht nur Pionierarbeit geleistet, sie hat ein ganz eigenes Universum geschaffen. Dennoch blieb ihr, zumindest im deutschsprachigen Bereich, der ganz große Erfolg versagt. Während andere, weniger talentierte Autoren und Autorinnen mit immer gleichen Romanen in der Lesergunst an ihr vorbeizogen, blieben die Werke Armstrongs ein Geheimtipp. Dies mag damit zusammenhängen, dass Armstrong nicht nur intelligente Romane schreibt, immer wieder andere Protagonistinnen aus den unterschiedliches Rassen – Werwölfe, Hexen, Nekromanten, Dämonen und Geister – in den Mittelpunkt ihrer Werke stellt, sondern auch ihre Welt immer detailreicher ausbaut. Hier bekommt man als Leser einmal nicht den x-ten schalen Aufguss längst bekannter Handlungsschemata, sondern immer wieder neue interessante Konflikte und glaubwürdig gezeichnete Figuren – und wird gefordert mitzudenken, sich auf neue Wesen und Erzähler einzustellen. Dass die Autorin darüberhinaus starke, wenn auch immer problembehaftet Frauen als Protagonistinnen auswählt, sollte ihr eigentlich die Gunst der emanzipierten Leserinnen sichern. Anscheinend aber goutieren diese lieber einen weiteren Roman um laszive, waschbrettbauchgestählte Vampire, als von Frauen zu lesen, die ihr Leben aktiv in die Hand nehmen, sich ihren Problemen stellen und diese lösen. Nachdem der erste Band noch als Hardcover veröffentlicht wurde, wechselte die Reihe dann ins Taschenbuch, und wird aktuell eher zögerlich ins Deutsche übersetzt.
Vorliegend greift die Autorin wieder ein heißes Eisen an. Elena wurde als Kind von ihren Pflegevätern sexuell missbraucht und leidet psychisch bis heute unter den Folgen. Ohne falsche Scham, offen und ehrlich spricht die Autorin hier das widerwärtigste Verbrechen an Kindern an, das man sich denken kann. Dabei deutet sie die undenkbaren Taten lediglich an, stellt Elena als Frau dar, die trotz dieser traumatischen Kindheit zu sich selbst gefunden hat, die Sexualität genießen kann. Dennoch wird sie von den Nachtmahren gepeinigt und gerät in Panik, wenn sie in entsprechende Situationen kommt. Geschickt verwebt die Autorin diese stimmig und zurückhaltend, nie plakativ oder sensationslüstern eingearbeiteten Szenen mit ihrer Handlung. Der Charakter ihrer Erzählerin wird dadurch noch tiefer und überzeugender ausgestaltet, der Plot realistischer und ergreifender.
Dazu gesellt sich dann eine sorgfältig recherchierte Inuit-Saga um einen Gestaltwandler, halb Bär halb Wolf, der so genannten Ijiraat. Folklore im Sinn von Anthropologie mischt sich hier mit Action – und auch davon gibt es jede Menge –, so dass sich die Seiten wie im Flug umblättern.
Wenn Sie also genug haben von sich ständig wiederholenden Handlungsschemata, von flachen, stereotypen Charakteren, dann greifen Sie doch einmal zu einem der Armstrong-Romane; die gibt es gebraucht schon für einen Apfel und ein Ei – Sie werden sich festlesen!
Die Reihe umfasst bislang:
Nacht der Wölfin (Elena 1)
Rückkehr der Wölfin (Elena 2)
Nacht der Hexen (Paige Witherbourne 1)
Pakt der Hexen (Paige Witherbourne 2)
Nacht der Geister (Eve Levine1)
Blut der Wölfin (Elena 3)
Lockruf der Toten (Jaime Vegas 1)
Nacht der Dämonin (Hope Adams 1)
Biss der Wölfin (Elena 4)