Edward Lee: Haus der bösen Lust (Buch)

Edward Lee
Haus der bösen Lust
(The Black Train)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Michael Krug
Titelillustration von Tina Marie Enos
Festa, 2012, Taschenbuch, 398 Seiten, 13,95 EUR, ISBN 978-3-86552-149-1 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Wenn das „Haus der Phantastik“ warnt „Wenn Lesen zur Mutprobe wird...“ und vor dem extremen Horror des Autors und dessen überzogene Darstellungen von sexueller Gewalt explizit warnt, dann scheint Vorsicht angebracht zu sein. So machte ich mich mit ein wenig Herzklopfen an die Lektüre eines mir bis dahin unbekannten Autors.

Justin Collier hat schon bessere Zeiten erlebt. Frisch geschieden hat der Mittdreißiger gerade erfahren, dass seine TV-Serie, in der er seinen Zuschauern sein Fachgebiet, die Geheimnisse guten Bieres näherbrachte, nach der zweiten Staffel abgesetzt wird. Nun hat er also wieder Zeit, an seinem neuesten Buch über die besten Biere aus Privatbrauereien zu schreiben. Ein herausragendes Beispiel für ein in den USA gebrautes Bier fehlt ihm noch. Einem versteckten Hinweis aus dem Internet folgend macht er sich auf nach Gast, Tennessee. In dem verschlafenen Ort, der lediglich bei Hobbyforschern des Bürgerkriegs bekannt ist, stößt er nicht nur auf eines der besten Biere, das er je getrunken hat, sondern erlebt auch eine Wiedergeburt seiner schlummernden Libido.

Die Pension in der er nächtigt hat dereinst einem der Südstaatenbarone als Heimstatt gedient. Hier zeugte er mit seiner gut gebauten Frau seine Töchter, hier köpfte er die Sklaven, die sich etwas zuschulden hatten kommen lassen, und hier baute er seine Eisenbahn. Dass seine Frau, kaum dass ihr Gatte das Herrenhaus verlassen hatte, sich Bedienstete, Untergebene und Sklaven ins Bett holte, scheint dem Anwesen seinen Stempel aufgedrückt zu haben. Selbst Paare, die sich seit Jahren nichts mehr zu sagen haben, bekommen Lust auf hemmungslosen Sex. Doch scheinbar hat etwas von diesem zügellosen Dasein, von den Morden, Schändungen und triebgesteuerten Taten, im Haus überlebt. Immer wieder überfallen Justin Träume, in denen er das Geschehen in der Vergangenheit miterlebt. Und er stößt auf Hinweise, dass sein Albträume von Öfen, in denen Frauen und Kinder bei lebendigem Leib verbrannt werden oder Männern, die ihren weiblichen Opfern die Haut der Genitalien bei lebendigen Leib abziehen, wahr gewesen sind. Während Justin an seiner geistigen Gesundheit zweifelt, hebt das Böse erneut sein Haupt…

Nach dem Waschzettel hatte ich mit gewagten Orgien, einen Spaziergang durch die Niederungen der menschlichen Lust gerechnet, und wurde überrascht. Satt nämlich plakativer Sado-Maso-Spiele erzählt Lee in seinem Roman eine Geschichte – und das richtig gut.

In alternierenden Kapiteln zeichnet er zunächst das überzeugende Bild einer kleinen Ortschaft in Tennessee. Abseits von Nashville und Graceland, den beiden Touristenzentren der Region, herrscht hier, im armen Süden des Landes, Armut. Die zumeist einfachen Menschen ernähren sich von ihrer Hände Arbeit, vergnügen sich in der örtlichen Bar und besuchen am Sonntag den Gottesdienst. Der Promi aus Hollywood ist hier eine Berühmtheit, die allseits hofiert wird. In dessen etwas triste Welt bricht dann das Übernatürlich ein. Seine Libido erwacht zu neuer Aktivität, Verlockungen führen ihn in Versuchung, zugleich verliebt er sich in eine Frau, die außerehelichen Verkehr ablehnt. Dieser Widerspruch – auf der einen Seite die ungehemmte Sexualität im Haus, dann das Zölibat der Angebeteten – tragen zur Faszination der Handlung bei.

Demgegenüber stehen die Reminiszenzen der Zeit des Bürgerkriegs. Hier hat der Autor deutliche Anleihen am Holocaust der Juden genommen, erschrickt den Leser die Gefühllosigkeit der Täter, die den Verlockungen des Geldes und der Lust scheinbar ohne Gegenwehr verfallen. Moral, Anstand und Sitte bleiben auf der Strecke, ist nur die Verlockung groß genug.

Erstaunlicherweise gelingt es Lee, diese Tatsache in der ersten Hälfte des Buchs ohne große Ekelszenen oder die Darstellung eines gewaltsamen Aktes seinen Lesern nahezubringen. Geschickt berichtet er uns zunächst distanziert, später indem er in die Haut der Opfer schlüpft, von den Geschehnissen der Menschen, die von den Abgesandten Luzifers in Versuchung geführt werden. Das hat, gerade weil der Autor hier auf leisen Sohlen unterwegs ist, eine innere Überzeugungskraft, die den Leser in den Roman hineinzieht. Hier nimmt der amerikanische Sezessionskrieg Gestalt an, nicht etwa in den Schützengräben und auf den Schlachtfeldern, sondern im Hinterland, aus dem der Nachschub rollt.

Mit zunehmender Dauer baut Lee hier nicht nur das Bild eines typisch arroganten Südstaaten-Barons auf, sondern von einem Mann, der dämonisch seine Umwelt manipuliert und erfolgreich in Versuchung führt. Das atmet jede Menge Authentizität, wirkt immer beklemmender und nimmt den Leser gefangen.

Das ein wenig zu versöhnliche Finale ist vielleicht der schwächste Part in einem sonst überzeugenden Roman, dem es gelingt, den Leser in die jeweils beschrieben Welt eintauchen zu lassen, der geschickt mit bekannten Stereotypen – dem schwulen Forscher und seinem Strichjungen, der lasziven Herbergsmutter – spielt, diese abwandelt und den Leser bestens unterhält.