Nina Blazon: Wolfszeit (Buch)

Nina Blazon
Wolfszeit
Titelillustration von Brian Smith
Ravensburger, 2012, Hardcover, 568 Seiten, 17,99 EUR, ISBN 978-3-473-40070-6 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Wir schreiben das Jahr 1764. In der Auverge geht die Angst um. Zwar sind die Menschen von dem seit Jahren andauernden Krieg gegen die Briten und die damit verbundenen Verluste viel gewohnt, doch, dass eine wilde Bestie ihre Frauen, Mädchen und Kinder reißt, das löst Panik aus. Der König im fernen Versailles entsendet Adelige und gestandene Jäger, allein die Bestie lässt sich nicht aufspüren. Immer wieder finden die verängstigten Bauern ihre Liebsten mit heruntergerissenem Kopf, grausam zugerichtet und angefressen auf ihren Feldern.

Zusammen mit der hochherrschaftlichen Abordnung Louis XV kommt auch ein junger, vielversprechenden Forscher in den Landstrich. Eigentlich sollte Thomas Auvray als Schüler der königlichen Zeichenakademie und Assistent des Naturforschers de Buffon lediglich wissenschaftliche Studien rund um das wolfsähnliche Tier betreiben, das man als Täter jagt, doch dann wird er immer tiefer in die Geschehnisse verstrickt. Bei seinen Nachforschungen stößt er schnell auf Ungereimtheiten. Zu oft schlägt die Bestie an verschiedenen, weit voneinander entfernten Orten zu, lässt die Beute liegen. Wer steckt wirklich hinter den Morden? Ein Tier, ein Werwolf oder vielleicht ein Mensch? Die Spuren führen ihn auf Schloss Morangiès, wo er eines der Opfer, die bezaubernde Isabelle kennen und lieben lernt…

Die zwischen 1965 und 1767 in der Auvergne und dem Gévaudan begangene Mordserie hat schon einige Male die Phantasie der Autoren angeregt. Markus Heitz etwa hat sie in seinem bei Droemer Knaur erschienenen „Ritus“ als Aufhänger genommen, nun also wendet sich eine weitere Großmeisterin des Historisch-Phantastischen Romans dem Thema zu. Anders als Heitz aber hat Nina Blazon ausgiebige Recherche und Studien betrieben. Sie bereiste die Gegend, sprach mir Forschern und sachkundigen Autoren, zog Zeitdokumente ebenso bei, wie moderne Forschungen zum Thema. Dabei konnte sie auf ein weites Feld an Veröffentlichungen zurückgreifen, ist das Thema doch bei unseren westlichen Nachbarn populär und wird immer wieder für Dissertationen herangezogen. So gelingt es ihr mit leichter Hand und in ihrem bekannt unauffälligen, dennoch so versiert und angenehm zu lesenden Stil unzählige Fakten über das Leben in der damaligen Zeit, über historische Personen und nicht zuletzt über die Verbrechen in ihre Handlung einfließen zu lassen.

Und sie erzählt uns eine ergreifende Geschichte. Zusammen mit dem Leser begibt sich unser sympathischer Erzähler nicht nur, vom königlichen Hof kommend, in eine ihm unbekannte Welt des ländlichen Frankreichs, er macht sich auch voller Interesse und Neugier daran, das faszinierende Rätsel zu untersuchen und aufzuklären. Das hat seine gefährlichen, ja gruseligen Momente, wobei die Gewaltdarstellung immer dezent bleibt, den jugendlichen Leser nie überfordert oder schockt. Die Schwerpunkte hat die Autorin dabei, wie es bei ihr gute Übung ist, auf die Zeichnung ihrer Gestalten gelegt, die sie lebensecht und vielschichtig portraitiert. Das sind eben keine Abziehbilder, das sind lebende Wesen mit all ihren Ecken und Kanten, Menschen, die Fehler machen, die ungerecht sind, die lieben, hoffen, fürchten und hassen. Schnell kann man sich in ihre Haut hineinversetzen, bangt mit ihnen, bewundert aber auch ihren Mut und ihre Opferbereitschaft.

Insgesamt gesehen einmal mehr ein ganz eigener Roman voller Dramatik und Gefühle, mit überzeugenden Figuren, der dem Leser ganz nebenbei noch viel Wissenswertes über die damalige Zeit vermittelt.