Kerstin Pflieger: Der Krähenturm (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 12. April 2012 16:02
Kerstin Pflieger
Der Krähenturm
Goldmann, 2012, Paperback, 476 Seiten. 12,00 EUR, ISBN 978-3-442-47679-4 (auch als eBook erhältlich)
Von Irene Salzmann
Im Jahr 1771 wird Icherios Ceihn von der Karlsruher ‚Kanzelley zur Inspektion unnatürlicher Begebenheiten‘, für die er hin und wieder einige Aufträge erledigt („Die Alchemie der Unsterblichkeit“), nach Heidelberg geschickt. Unter dem Deckmantel des langersehnten Medizin-Studiums soll er ein Auge auf die Vorgänge im dort befindlichen Haus des Ordo Occulto haben, insbesondere auf Meister Auberlin, der aufgrund einer lange zurückliegenden Auseinandersetzung ein persönlicher Feind von Anselm von Freyberg, dem Chronisten der Kanzelley, ist.
Damit erfüllt sich nicht nur ein lange gehegter Traum für Icherios, sondern er kann nun auch in einer eigenen Angelegenheit Nachforschungen anstellen. Sein Freund Vallentin, der ihm ein Tagebuch mit kryptischen Einträgen hinterließ, ist in Heidelberg ums Leben gekommen. Jedoch macht sich in ihm sehr schnell die Enttäuschung breit, denn die Vorlesungen erweisen sich als eintönig und nicht auf dem neuesten Stand, Icherios macht sich zudem den einen oder anderen Dozenten zum Feind, und die Ermittlungen in beiden Angelegenheiten kommen kaum voran, nicht zu vergessen die Angst, dass ein Vampirbiss ihn zum Strigoi werden lässt.
Icherios freundet sich mit den anderen Bewohnern des Hauses und mit einigen Studenten an, die offenbar eine Menge Geheimnisse hüten. Er ahnt nicht, dass auch andere nach Antworten suchen, die im Zusammenhang mit seinem Auftrag und mysteriösen Vorgängen stehen, die darauf abzielen, die Magie und alle magischen Kreaturen auf die Erde zurückzuholen und die Menschen zu knechten. Doch wer ist der Initiator dieses Plans? Und wem darf Icherios, der dringend Hilfe braucht, vertrauen?
Diese kurze Zusammenfassung gibt die Fülle der tatsächlichen Ereignisse nur sehr grob wieder. Tatsächlich hat die Autorin eine Menge in diesen Roman hineingepackt – eigentlich schon zu viel, sodass manche Handlungsstränge und Themen zu kurz abgehandelt werden oder wie nachträglich eingeschoben wirken, weil sie Bezüge zum ersten und dem/den folgenden Buch/Büchern herstellen, beispielsweise die Beziehung der Hauptfigur zu der schönen Vampirin Carissima, die ihm einen Ausweg bietet, wie er der Verwandlung in einen Strigoi nach seinem Tode entgehen könnte, doch sucht er lieber anderweitig nach Mitteln und Wegen und experimentiert auf grausige Weise mit Maleficium, einer unsterblichen Ratte, seinem Intimus.
Leicht hätte man aus „Der Krähenturm“ zwei Bücher machen können. Damit wäre den vielen einzelnen Geschichten und Schicksalen, die man nicht unbedingt miteinander hätte verknüpfen müssen, mehr Raum gegeben worden, um sich zu entfalten. So hingegen wirkt alles gedrängt, die vielen Details, die auf sorgfältiger Recherche beruhen, können gar nicht gewürdigt werden, da sie in der Masse untergehen.
Auch das Ende wirkt ziemlich überhastet, als wären der Autorin die Seiten ausgegangen (immerhin ist der zweite Icherios-Ceihn-Band um rund 130 Seiten umfangreicher). Der Protagonist muss einige Verluste verkraften, findet aber auch neue Freunde, ihm eröffnen sich ungeahnte Perspektiven – doch Kerstin Pflieger muss aufpassen, dass der liebenswürdige Tollpatsch nicht zum Superhelden mutiert.
Ihr Stil ist flüssig und liest sich angenehm. Trotz des Zuviels an Geschehnissen verliert sie die Fäden nicht aus der Hand und beantwortet alle Fragen. Trotzdem wäre etwas weniger eindeutig mehr gewesen. Ob und wann ein dritter Roman folgt, ist noch offen, da die Autorin auf ihrem Blog andeutet, ein neues Projekt realisieren zu wollen.
Schätzt man phantastische Romane mit Lokalkolorit, in denen es von Vampiren, Werwesen, Hexen, Nixen und anderem mehr nur so wimmelt, und einer sehr komplexen, atmosphärisch dichten Handlung, die eine Hommage an „Sleepy Hollow“ und andere Blockbustern darstellt, dann wird man an den „Icherios Ceihn“-Bänden viel Spaß haben und sehnsüchtig auf die Fortsetzung warten.