Michael Crichton & Richard Preston: Micro (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 08. April 2012 13:59
Michael Crichton & Richard Preston
Micro
Aus dem Amerikanischen von Michael Bayer
Blessing, 2012, Hardcover, 544 Seiten, 22,95 EUR, ISBN 978-3-89667-429-6 (auch als eBook erhältlich)
Von Thomas Harbach
Mit „Micro“ liegt der letzte, teilweise von Michael Crichton geschriebene Wissenschaftsthriller auf Deutsch vor. Vor seinem Krebstod hat Michael Crichton ungefähr ein Drittel des Buches fertiggestellt, sowie in seinem unvollendet gebliebenen Vorwort die Blindheit der modernen Generation gegenüber den Wundern der Natur angeprangert.
So sind die Exkurse in die Natur auch die stärksten Passagen des Romans. Immer auf dem schmalen Grat zwischen Informationen/Belehrung wandelnd, führen die Autoren reihenweise Beispiele für die zerstörerischen wie heilenden Kräfte der Natur vor, wobei mit einer Reihe von falschen Klischees aufgeräumt wird. Wie gut, dass die meisten Protagonisten Studenten sind, die nur dank ihrer Ausbildung in der freien Natur sowie einer Extremsituation ausgesetzt überleben können. „Normale“ Techniker hätten keine Chance gehabt, was den Thriller-Inhalt des vorliegenden Romans sehr viel konstruierter erscheinen lässt, als es vielleicht Michael Crichtons ursprüngliche Absicht gewesen ist.
Während der in seinem Nachlass fertiggestellte „Gold“ eine für Crichton auf den ersten Blick untypische, aber an Romane wie „Der große Eisenbahnraub“ erinnernde Abenteuergeschichte ist, versuchte der Amerikaner mit „Micro“ an die großen Erfolge, insbesondere „Jurrassic Park“, anzuschließen. Eine nicht ganz neue Prämisse, wissenschaftlich fundiert untermauert, die den Ausgangspunkt für eine stringente Abenteuergeschichte einer kleinen, durch einen Zufall zusammengeführten Gruppe von Menschen bildet. Dazu deutlich Kritik an der kapitalistischen Gewinnmaximierung, gehebelt durch den Einsatz von Private Equity und Unternehmensspekulanten.
Das Auftaktkapital gibt spannungstechnisch eher negativ einen Einblick in den Verlauf der Geschichte. Ein Privatdetektiv wird angeheuert, in das nicht sonderlich gesicherte Werk eines Computerkonzerns auf Hawaii einzudringen. Er wird dabei von unsichtbaren „Wesen“ verletzt und kann sich noch zu seinen Auftraggebern zurückkämpfen, die ebenfalls unter mysteriösen Umständen sterben. Der junge Forscher Peter erhält nach dem furiosen Auftakt Besuch von seinem älteren Bruder, der zusammen mit einem egozentrischen Großkapitalisten und einer jungen, eiskalten Frau Rekruten von den Universitäten genau für das Unternehmen sucht, in dem gerade eingebrochen worden ist. Peter findet in dem geliehenen Ferrari seines Bruders einen kleinen Gegenstand, der an ein bewaffnetes Miniaturflugzeug inklusiv Sitz erinnert. Sein Bruder dementiert diese Idee und nennt den Gegenstand den Prototypen einer neuen Robotergeneration.
Anfänglich skeptisch beschließen zusammen mit Peter sieben Studenten das Angebot anzunehmen. Nur wird Peter am Vorabend der Abreise, nachdem er eine geheimnisvolle Nachricht seines Bruders per SMS erhalten hat, davon informiert, dass sein Bruder bei einem Segelschiffsunglück vor der Küste Hawaiis ertrunken ist. Die Peter gezeigten Beweise deuten eher auf einen initiierten Mord hin. Als Peter den Unternehmenschef mit seinen Beweisen konfrontieren will, wird dieser handgreiflich und aggressiv. Die Mitwisser müssen weg.
Jetzt kommt der auf den ersten Blick verblüffend wie antiquierte Dreh der Handlung. Die sieben Studenten inklusiv eines unschuldigen Angestellten – er dient später als eine Art MacGuffin und liefert immer wieder wichtige Hinweise, ohne die die Gruppe schon von Beginn an rettungslos verloren gewesen wäre – werden auf eine Größe von 12 Millimeter geschrumpft. Eine Idee, die schon seit Urzeiten durch das phantastische Genre geistert. „Dr. Zyklop“ oder „Die phantastische Reise“ fallen dem Leser spontan ein. Dabei nutzen Richard Preston und Michael Crichton zumindest auf den ersten Blick überzeugend gegenwärtige Forschungen, um ihre Theorie zu unterstreichen. Dass sie im Gegensatz zu vielen kritischen Ansätzen die Gewichtskomponente außer Acht lassen und die acht Menschen quasi schwerelos werden lassen, steht auf einem anderen Blatt. Dann soll ihr Herz vergleichbar einem Kolibri extrem schnell schlagen oder sie gegen Naturereignisse aufgrund ihrer Größe fast „unverwundbar“ sein. Eine These, welche die Handlung selbst relativiert.
Bevor der Despot sie zertreten kann, rettet sie die am Mord von Peters Bruder indirekt beteiligte Geschäftsführerin und setzt sie eher unfreiwillig in einem der Außenbereiche der Firma aus – 2,4 Kilometer von der zentralen Wandelstation entfernt. Oder in Bezug auf ihre gegenwärtige Größe eher 25.000 Kilometer. Zumindest bauen die beiden Autoren sehr viele technische Hilfsmittel ein, so hat der Konzern vorher entsprechende Basen für die verschiedenen Testläufe geschaffen und vieles wirkt im Vergleich zu der „Mad-Scientists-Idee aus „Dr. Zyklop“ technisch auf den neuesten, in dieser Hinsicht überzeugenden, Stand gebracht.
Im Gegensatz zu den dank moderner Genforscher auf einer isolierten Insel gezüchteten Dinosauriern wirkt die Prämisse von „Micro“ trotzdem eher an den Haaren herbeigezogen und lässt den Roman trotz des modernen Umfelds archaisch und antiquiert erscheinen. Da helfen auch nicht die wissenschaftlichen Erklärungen. Einzig, wenn Crichton/Preston den erwarteten Bogen zur militärischen Anwendung dieser tödlichen Erfindung schlagen, deutet „Micro“ sein Potential an. Es ist schade, dass Richard Preston und nicht Tom Clancy das Romanfragment vollendet hat.
Zu den weiteren Schwächen gehört neben einer stringenten, aber schnell vorhersehbaren Handlung die eindimensionale Zeichnung im Grunde fast aller Charaktere. Peter ist der unfreiwillige Anführer der Gruppe. Es ist erstaunlich, wie schnell er einem möglichen Mordanschlag auf seinen Bruder angesichts eines Videobeweises auf die Spur kommt. Noch überraschender ist, dass er im Gegensatz zum Leser die letzte aus zwei Worten bestehende SMS seines Bruders nicht gleich richtig einordnen kann. In Bezug auf seine Umgebung ist Peter ausgesprochen ambivalent. Zumindest verlassen die Autoren diese überdimensionalen Heldenklischees in der Mitte des Buches und versuchen dem Leser zu zeigen, dass niemand sicher ist. Mit der Kampfsportfanatikern Karen verfügt die Gruppe über eine im Grunde besser geeignete Führungsfigur, der ihr Geschlecht wie in vielen Michael-Crichton-Romanen entgegensteht. Dass sie an Kampfsport interessiert ist, erscheint der einzige nennenswerte Aspekt ihrer Persönlichkeit zu sein. Erst gegen Ende in einer Vielzahl von aufeinander aufbauenden, nicht einmal unspannend geschriebenen Actionsequenzen wächst sie über sich hinaus. Die deutsche Erika ist die Schlampe der Gruppe. Sie hat mit fast jedem Mitglied Sex, auch wenn sie nicht derartig eiskalt agiert wie sie anfänglich beschrieben worden ist. Außer ihren sexuellen Neigungen bringt sie nichts in die Gruppe ein. Der anfänglich wehleidige Angestellte der Nanotechnologiefirma dient unmittelbar nach seiner Schrumpfung als Brücke zum Leser. Stellvertretend für die sieben schockierten Studenten berichtet er von den verschiedenen Experimenten der Firma. Ein anderes Mitglied der Gruppe ist der alternative Heiler, der aus den verschiedenen, praktischerweise in Reichweite wachsenden Pflanzen diverse Heilmittel entwickelt. Natürlich muss es auch einen Verräter geben, der im letzten Drittel des Buches für Spannung sorgen soll.
Die ersten Schrumpfungen an Tieren und Menschen litten – spannungstechnisch natürlich notwendig – unter einer Art Zeitfenster: nach vier Tagen erkrankten und starben die Versuchsobjekte. Auch kam es erstens auf die Umgebung an, in der die Menschen geschrumpft wurden und zweitens ob sie sich zusätzlich unter Stress gesetzt fühlten. Lange Rede, kurzer Sinn. Die acht Menschen müssen möglichst schnell zurück ins Laboratorium, wo der Erfinder gerüchteweise eine Art Miniaturnothebel eingebaut hat, der nur von Geschrumpften bedient werden und der Prozess rückgängig machen kann. Dieser zeitliche Druck wird von Michael Crichton und Richard Preston immer wieder durch Seiten umfassende, ins Nichts führende, nicht selten pseudophilosophische Diskussionen unterbrochen. Romantik findet in Form von Nacktbaden unter dem Wasserfall – keine Erklärung, ob das Wasser auf die geschrumpften Menschen Rücksicht nimmt – statt.
Zumindest versuchen die Autoren, diese eindimensionalen Figuren menschlicher und weniger abgehoben erscheinen zu lassen, als es die Auftaktsequenz in ihren Elfenbeintürmen suggeriert. Leider etablieren sie keinen überzeugenden Antagonisten. Der Kapitalist Drake ist zu egozentrisch, zu brutal, zu selbstsüchtig, um als dreidimensionaler Charakter durchzugehen. Anfänglich lässt er beseitigen, dann greift er selbst in das Geschehen aktiv und mordend ein, um schließlich – welch ein Klischee wimmernd durch die Geister, die er rief, zu sterben. Zumindest fügen die Autoren noch einen sympathischen Inselpolizisten ein, der angesichts der zahlreichen verschwindenden Nanotechnologie-Mitarbeiter gegen den Wunsch seiner Vorgesetzten zu ermitteln beginnt und relativ schnell dank CSI-Kriminaltechnik den mordernden Robotern auf die Spur kommt. Er wirkt ein wenig wie ein moderner Charlie Chan, von seiner Umgebung unterschätzt, aber sehr viel dreidimensionaler als alle anderen Charaktere (zynisch gesprochen) zusammen. Es ist schade, dass die Autoren ihm nicht den ultimativen Triumph gönnen, sondern ihn am Ende eher als eine Art MacGuffin nutzen.
Michael Crichton und Richard Preston zeigen ihre Ehrfurcht vor der Wunderwelt der Natur. Das beginnt schon während der Exposition, in der die einfachen, aber effektiven Heilkräfte von Pflanzen den chemischen Kompositionen der Pharmaindustrie – das rote Tuch des ganzen Buches – gegenübergestellt werden. Alleine die nicht unbedingt intellektuelle, sondern eher körperliche „Größe“ der Menschen rettet sie vor einem ständigen Überlebenskampf gegen die Natur. Wenn diese Vorteile aufgehoben sind, schlägt die Natur grausam zurück. So zerteilen Ameisen einen der Geschrumpften und lagern ihn in ihrem Bau für schlechte Zeiten ein. Ein Vogel verschluckt einen anderen der Gruppe lebendig. Eine Wespe entführt ein weiteres Mitglied der Gruppe. Crichton und Preston verurteilen diese Aktionen nicht. Für die Autoren sind sie ein normaler Bestandteil des Kreislaufes der Natur; Darwins Evolutionstheorie dank des rücksichtslosen Forscherdrangs der Menschen auf den Kopf gestellt. Zumindest gestehen die Autoren ihren Protagonisten zu, über sich hinauszuwachsen und in eher unwahrscheinlichen, cineastisch vielleicht noch erträglichen Situationen die Kameraden vor weiteren grausamen Toden retten zu können.
Der Gipfel der Unglaubwürdigkeit ist allerdings die Stationierung dieser kleinen Flugzeuge in einer Außenbasis, die es den Helden ermöglicht, pünktlich vor dem Einsetzen der nicht umkehrbaren Krankheit doch zum Hauptquartier zurückzukommen. Die Hindernisse während des Fluges werden logischerweise alle gemeistert, auch wenn die Studenten keine Erfahrung mit den Flugzeugen haben.
“Micro” ist im Grunde ein nicht zufriedenstellender Roman, der seine interessante Grundprämisse – der Mensch kann immer von der Natur lernen – in ein albernes und insbesondere in der zweiten Hälfte sehr wenig durchdachtes, aber zumindest technisch gut sowie teilweise überzeugend präsentiertes Handlungskorsett packt. Vielleicht war auf Seiten Richard Prestons der Respekt von Michael Crichton zu groß, um die Stärken der Idee in einen neuen Roman zu übertragen und die zahlreichen Schwächen einfach zu ignorieren.