Jay Lake: Die Räder der Welt (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 01. April 2012 11:46
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Jay Lake
Die Räder der Welt
Übersetzung: Marcel Bülles
Titelbild: Max Meinzold
Bastei Lübbe, 2012, Paperback, 364 Seiten, 12,99 EUR, ISBN 978-3-404-20656-8 (auch als eBook erhältlich)
Von Carsten Kuhr
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Gott nicht etwa ein vergeistigtes Überwesen ist, sondern ein genialer Konstrukteur, der sein Universum nach den Regeln der Mechanik entworfen und erbaut hat. Planeten laufen auf gigantischen Uhrwerken um die Sonnen. Uhrwerke, das wissen wir alle, müssen aber von Zeit zu Zeit gewartet und vor allem neu aufgezogen werden.
Das letzte Mal, dass der Schlüssel der Ewigen Bedrohung benutzt und der gigantische, den Äquator umfassende Zahnkranz und das Uhrwerk der Erde aufgezogen wurde, war es ein gewisser Jesus, der die Aufgabe übertragen bekommen hatte. Dieses Mal sucht der Messing-Erzengel Gabriel einen jungen Uhrmacherlehrling, eine Waise aus Neuengland, in dessen Kämmerchen auf, um Hethor, so der Name unseres Helden, mit seiner Aufgabe zu betrauen.
Dass Hethor alles andere als begeistert ist, versteht sich von selbst. Sein vorgezeichneter Lebensweg, dereinst als Geselle, später als Uhrmachermeister in die Fußstapfen seines Meisters zu treten, ist perdu. Schon auf dem Weg zum Vizekönig aber findet er Unterstützung durch eine Geheimgesellschaft. Doch dann glaubt ihm der von ihrer Majestät Victoria eingesetzt Regent nicht, wirft ihn in den Kerker, aus dem ihn ein Presskommando ihrer königlichen Flotte schanghait.
An Bord des Luftschiffes nähert er sich immer mehr dem Äquator und damit der südlichen Hemisphäre, in der, dem Vernehmen nach, wilde Magie ihren Ursprung hat. Geflügelte Wesen entführen ihn, in einem Jade-Kloster am Äquatorialkranz erfährt er, dass der verheißene und dringend benötigte Schlüssel auf der Südhalbkugel verloren ging. So macht er sich einsam und allein auf ins unbekannte Afrika; einem Land voller unheimlicher Lebewesen, aber auch voller Weisheit und auf die Suche nach dem Schlüssel, nach Gott und dem Herzen der Welt…
Steampunk-Titel sind en vogue. Inzwischen sind uns die Szenarien bekannt: zumeist entführt uns die Handlung in viktorianische London, in dem verrückte Erfinder ihre dampfbetriebenen Figuren aufeinander hetzen. Jay Lake geht seinen Plot etwas, nein eigentlich ganz anders an. Sicherlich, auch er präsentiert uns Luftschiffe und Gefechte, phantastische Maschinen, doch haben Sie sich schon einmal vorgestellt, dass sich das Sonnensystem auf gigantischen Zahnkränzen umeinander dreht, dass die Erde selbst wie ein Uhrwerk aufgezogen werden muss, dass Gottes Sendboten, die Engel, aus Metall gearbeitet sein könnten? Eigentlich undenkbar, und doch schafft es Lake, uns diese wahnwitzige Idee nicht nur schmackhaft sondern veritabel zu machen.
Den Roman selbst kann man in zwei Teile untergliedern. Die erste Hälfte, die Reise zum Äquator, steht ganz im Stil der altgewohnten Abenteuer. Fiese Typen machen unserem Helden das Leben schwer, es gilt Abenteuer zu überstehen, sich seinen Platz als Matrose an Bord zu erkämpfen und sein Ziel ins Auge zu fassen. Auf der Südhalbkugel angekommen kippt die Handlung ein wenig. Auch hier gibt es noch farbenprächtige Kulissen, vor denen unser Protagonist agiert, doch mehr und mehr rücken philosophische Fragen ins Zentrum des Romans. Wer bin ich, wer oder was ist Gott, gibt es überhaupt einen Gott und wenn ja, hat er uns, seine Schöpfung verlassen, oder lässt er uns nur unseren freien Willen? Fragen, die nicht nur Hethor beschäftigen. Das ist spannend und innovativ, hat Tiefgang ohne zu langweilen, dreht allerdings zum Finale hin ein wenig ab.
Insgesamt ein faszinierender Roman, der, wenn sich der Autor zum Schluss hin ein wenig gebremst hätte, ein ganz großer hätte werden können. So bleibt ein mehr als interessanter Ansatz der ganz eigene Wege geht und uns voller Erwartung auf die zwei Folgetitel zurücklässt.