Harald Giersche (Hrsg.): space rocks (Buch)

Harald Giersche (Hrsg.)
space rocks
Titelbild: Klaus G. Schimanski
Begedia, Hardcover, 318 Seiten, 17,90 EUR, ISBN 978-3-9813946-1-0

Von Thomas Harbach

Mit dem Begedia Verlag betritt ein neuer Verlag die Science-Fiction-Bühne. In der vorliegenden Hardcover-Anthologie mit einem sehenswerten, aber im Vergleich zu einigen anderen seiner Arbeiten eher durchschnittlichen Schimanski-Titelbild, hat Harald Giesche fünf Novellen und drei Kurzgeschichten bekannter semiprofessioneller Autoren zu sehr weit gegriffenen Thema der Space Opera in positiver wie moderner Hinsicht gesammelt.

Das Spektrum ist sehr breit, die Qualität der Texte erstaunlich hoch. Die Autoren haben sich alle bemüht, den ihnen zur Verfügung stehenden Mehrumfang zu nutzen und epischere Geschichte zu erzählen, wobei insbesondere eine Reihe von Klischees des Genres – siehe Uwe Post und mit Abstrichen Frank W. Haubold – positiv entweder auf die Schippe genommen oder innovativ variiert worden sind.

Uwe Post eröffnet die Sammlung mit „Abgekürzt Mehkaterrnok“, einer überdrehte Erstkontakt-Geschichte. Ein Tourist aus dem Pott findet in den Bergen ein havariertes Raumschiff, das er zusammen mit dem Piloten dank eines Schweizer Taschenmessers repariert. Wenn der Auftakt inklusive der herrlichen Monologe sowie der Parodie auf die billigen Universalübersetzer ausgesprochen skurril und humorvoll ist, verliert sich Uwe Post handlungstechnisch in den Tiefen der Wettmafia, die auf eine spätere Entdeckung unterentwickelter Spezies wetten. Zu überdreht, vielleicht sogar ein wenig zu überambitioniert schießt der Autor deutlich über das Ziel hinaus und verliert vor allem seinem einnehmenden Ruhrpottcharakter – die Anspielung auf Schalke ist die Lektüre alleine wert – in den wirren galaktischen Tiefen.

Eine andere Art von Erstkontakt-Geschichte stelle Nadine Boos’ „Kryophil“ dar. Eine Expedition zum Jupitermond Europa dient nicht nur der Erforschung diverser Eisschichten, sondern bringt auch eine bislang unbekannte Lebensform zutage, welche eine Herausforderung für die mit fliegenden persönlichen Leibwächtern ausgestatteten Mitglieder der Expedition darstellt. Auch wenn die Grundzüge der Geschichte nicht unbedingt originell sind, gelingt es der Autorin dank der soliden Charakterisierung der handelnden Figuren und darüber hinaus durch eine beklemmend realistische Beschreibung der schier endlosen Gänge unter Europas Eisschichten eine überzeugende Atmosphäre aufzubauen, welche die eher bodenständige Handlung mehr als ausgleicht.

„Auf dem Wind. Allein“ aus der Feder Karla Schmidt ist eine der wenigen Geschichten, welche die titelgebende Grundidee der Space Opera ganz anders interpretiert. Zusätzlich ist es einer der in der Minderzahl befindliche Texte, welcher die eher distanzierte Erzählebene der dritten Person durch die intimere, aber auch deutlich schwierigere Erste-Person-Perspektive ersetzt. Die Autorin beschreibt die Entwicklungen innerhalb einer dem Leser auf den ersten Blick fremden Kultur. Im Verlaufe des außergewöhnlich ruhig, aber hintergrundtechnisch interessant erzählten Handlungsbogens schleicht sich ein unbestimmtes Gefühl der Vertrautheit mit diesen Wesen ein, das die Autorin positiv für die ganze Geschichte nicht mit wenig überzeugend literarischen Winkelzügen zu bestärken sucht. Während die erste Hälfte atmosphärisch ausgesprochen dicht ist, verliert sich Karla Schmidt insbesondere in der etwas überambitioniert erscheinenden zweiten Hälfte zu sehr in ihrer Geschichte und kann die interessante, aber trotz der Ich-Erzählerebene zu distanziert erscheinende Handlung zufrieden stellend aber nicht gänzlich überzeugend zu Ende bringen.

Frank W. Haubold setzt in „Das Paradies des Jägers“ die Idee der balladenartigen Novelle am Konsequentesten um. Seine Geschichte ist ein geschlossener Kreislauf – sie beginnt und endet im ironisierten Paradies seiner Hauptfigur –, ohne dass Leser und Protagonist wirklich wissen, ob sich das ganze Galaxien beeinflussende Geschehen wirklich abgespielt hat. Frank W. Haubold beginnt relativ bodenständig. Sein Jäger ist eine Art Spezialagent der Regierung, der nach einem Verbrecher, „Mr. Echo“, fahnden soll. Im Laufe seiner frustrierend wie gefährlichen Suche wird er eine Gefahrenstufe hoch gesetzt und der Jäger erhält die Lizenz zur sofortigen Tötung. Je weiter sich Haubolds anfänglich in seiner Existenz sicherer Protagonist vorarbeitet, desto mehr Zweifel kommen ihm. In dieser Hinsicht folgt der Autor den Zweckmäßigkeiten des Genres. Er mischt einige plottechnische Überraschungen in den Handlungsbogen, bevor er im letzten Drittel aus der bis dahin konsequent stringenten Space Opera eine Art philosophisch religiöse Exkursion macht, die biblische Geschichte mit der fernen Zukunft verbindet. Das Ende wirkt nihilistisch konsequent, auch wenn der Plot für einen ganzen Roman gereicht hätte. Wie bei einigen anderen längeren Arbeiten Haubolds wünscht sich der Leser eine entsprechende Erweiterung, um diese etwas überstürzten, aber stilistisch ausgesprochen gut geschriebenen Enden zu vermeiden. Potential ist ausreichend vorhanden und Frank W. Haubold ist ein zu guter Erzähler, um die sprachlichen Bilder nicht mit entsprechender Handlung auszukleiden. Eine nachdenklich stimmende, aber auch sehr unterhaltsame Novelle und gleichzeitig einer der besten Beiträge dieser Sammlung.

„Die Straße“ aus der Feder Armin Rößlers ist eine Mischung aus Kurzgeschichte und Novelle. Sie spielt in der Frühzeit seiner im Argona- Universum angesiedelten Arbeiten. Es ist nicht unbedingt notwendig, die inzwischen drei Romane und zahlreichen Kurzgeschichten zu kennen, es erhöht aber den Reiz des Lesevergnügens. Durch einen Knall wird der Protagonist auf eine bislang als Tabu betrachtete Straße gelockt. Dieser Bruch bestehender eher ungeschriebener Regeln ist der Beginn einer Reihe von kleineren Abenteuern und viel wichtiger Begegnungen, die Armin Rößler routiniert erzählt. Trotz der Dynamik und Eigenständigkeit wichtiger Handlungsteile bleiben Argona-Neulinge irgendwo außen vor. Die Figuren sind solide charakterisiert, auch wenn der Funke nicht wirklich überspringen mag.

Die erste von drei kürzeren Texten stammt aus der Feder Frederic Brakes. „Homeboy“ ist einer der schwächsten Texte des Buches. Der Plot erinnert an die Art von Geschichten, die Murray Leinster in den 30er Jahren verfasst hat. Ein Professor hat mit der Erfindung des Wahrscheinlichkeitsantriebs im Grunde im Alleingang die menschliche Weltraumfahrt revolutioniert. Er will die Idee den Menschen umsonst zur Verfügung stellen, während der mit Großbuchstaben geschriebene Kapitalismus das verhindern möchte. Der Professor bedient sich auf der Flucht zur Erde zwei eher naseweisen Jungunternehmern, die im Gegensatz zu den Lesern nicht ahnen, dass sie an einer unfreiwilligen galaktischen Odyssee teilnehmen. Obwohl solide, aber stilistisch nicht wirklich inspiriert geschrieben, leidet „Homeboy“ an den schon angesprochenen handlungstechnischen Klischees sowie einem überstürzten, etwas offenen Ende mit einer „Alles wird gut“-Mentalität.

Christian Günthers „Yuriks Schiff“ ist eine melancholische Coming-of-Age-Geschichte. Yurik spielt zusammen mit seinem affenartigen Haustier gerne in den Überresten des Kolonistenraumschiffs, dass einige hundert Menschen von der Erde zu dieser klimatisch wechselhaften wie herausfordernden Welt gebracht hat. Als er von einigen Schulkameraden an Bord des Raumschiffswracks überfallen und sein tierischer Begleiter geraubt wird, hilft ihm ein Mann, der eine schwere Bürde aus der Vergangenheit mit sich trägt. Stilistisch sehr ruhig, entwickelt mit einem melancholischen Grundton, variiert der Autor die Satzbausteine des Kolonistenschiffthemas sehr geschickt. Yurik ist ein eher introvertierter Junge, der unter den gleichen Problemen wie eine Vielzahl gegenwärtiger Schülergenerationen leidet. Er flüchtet sich zusammen mit seinem einzigen „Freund“ in eine illusionäre Scheinwelt, die plötzlich einen ausgesprochen realen wie ansprechenden Hintergrund erhält. Die Auflösung des Plots ist ganz bewusst vage gehalten, um die Phantasie des Lesers wie auch Yuriks gleichermaßen zu beflügeln. Eine wie schon angesprochen stimmungsvolle wie lesenswerte Geschichte.

Den Abschluss bildet die chronologisch erste Geschichte um Achim Hiltrops Helden Clou Gallagher, In „Zollkontrolle“ wird Gallaghers erster kommerzieller Auftrag fast zu einer kriminellen Katastrophe. Kaum ist das von ihm erworbene Raumschiffwrack wieder flugtauglich gemacht worden, führt ihn sein erster Auftrag nicht in die Tiefen des Alls, sondern nur auf die andere Planetenseite. Er soll einen geheimnisvollen Gegenstand in einer kleinen Kiste transportieren und abliefern. Nur dass sich die Empfängerin als Mitglied der Zollfahndung ausweist und der Gegenstand – eine wertvolle, sich eigentlich in den Katakomben des örtlichen Museums befindlich Vase – als Fälschung erweist. Achim Hiltrop hat Gallaghers erstes Abenteuer mit leichter Hand niedergeschrieben. Die einzelnen Wendungen und Windungen des Plots erscheinen nicht immer wirklich originell, aber in der Kürze des Textes wird der Leser solide unterhalten und erfährt, wie die „Trigger“ ihren Namen erhalten hat. Insbesondere für Anhänger der „Gallagher“-Storys eine ideale Ergänzung.

Zusammengefasst präsentiert „space rocks“ teilweise überdurchschnittliche Unterhaltung in einem – insbesondere für die deutsche Science Fiction – mehr und mehr in Vergessenheit geratenen Subgenre: der Space Opera. Stilistisch sind alle Texte sehr ansprechend geschrieben, die zum Teil bekannten Ideen ausgesprochen geschickt wie überzeugend variiert mit einigen überraschenden Elementen versehen. Insbesondere Uwe Posts teilweise zu abgehobene Story sowie Nadine Boos interessante Erstkontakt-Story, Frank W. Haubolds „Das Paradies des Jägers“ und letztendlich Achim Hiltrops frühes „Gallagher“-Abenteuer gehören zu den Höhepunkten der empfehlenswerten Sammlung.