Scott Westerfeld: Behemoth – Im Labyrinth der Macht (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 21. Mai 2011 13:21

Scott Westerfeld
Behemoth – Im Labyrinth der Macht
(Behemot)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Andreas Helweg
Umschlagillustration von Marion Hirsch
Innenillustrationen von Keith Thompson
cbj, 2011, Hardcover, 508 Seiten, 17,99 EUR, ISBN 978-3-570-13993-6 (auch als eBook erhältlich)
Von Carsten Kuhr
Im letzten Jahr eroberte Scott Westerfelds Steampunk-Roman „Leviathan“ die internationalen Bestsellerlisten. Auch bei uns konnte die etwas andere Version rund um die Ermordung des Habsburger Kaiserpaares und dem daran anschließenden Ersten Weltkrieg Meriten einheimsen. Westerfeld schildert uns ein Europa, das in zwei einander misstrauisch, ja ablehnend beäugende, Blöcke unterteilt ist. Auf der einen Seite die Darwinisten, die mittels einer hochentwickelten Gentechnik Lebewesen als hilfreiche Geister herangezüchtet haben, auf der anderen Seite, die Mechanisten, die rein der Technik vertrauen. Beide Grundrichtungen haben an Bord gigantischer Zeppeline die Lüfte erobert. Was bei den Darwinisten ein heliumgefülltes Lebewesen ist, das treibt auf der anderen Seite bei den Mechanisten große leistungsfähige Motoren an.
Nach dem Attentat dauert es nicht lang, bis die Mächte einander den Krieg erklären. Westerfeld erzählt uns die Geschichte zweier, junger Menschen. Der eine, Alek, ein mittlerweile heimatloser habsburgischer Thronfolger, die andere, Deryn, eine mutige Luftfahrerin, die sich als Junge verkleidet als Kadett an Bord der „Leviathan“ eingeschlichen hat. Das Schicksal hat sie an Bord der „Leviathan“ zusammengeführt, die in Richtung Konstantinopel, Istanbul, wie die Osmanen die Stadt seit mehr als 400 Jahren nennen, unterwegs ist. Nachdem Churchill den Osmanen den bestellten und mit deren letzten Reserven bezahlten „Leviathan“ nicht ausliefern will, sondern für die eigene Luftwaffe zwangsrekrutiert, ist die Stimmung den Engländern gegenüber nicht unbedingt gewogen. Diesen Umstand nutzen die Deutschen, um sich am Bosporus als Freunde und Unterstützer des Sultans Einfluss und Verbündete zu sichern. Nicht nur, dass sie dem Osmanischen Reich ihre mechanischen Kampfwesen zur Verfügung stellen, mit zwei Kriegsschiffen, die sie vordergründig den Osmanen schenken, wollen sie die Nahrungsmittelversorgung des Russischen Reiches über das Schwarze Meer letztlich unterbinden und so den Gegner entscheidend schwächen.
Deryn alias Mr. Sharp bricht zu einem Kommandounternehmen auf, das die Verteidigungsanlagen der Osmanen sabotieren soll. Zwar gelingt der Anschlag, doch eine Rückkehr an Bord ist unmöglich. So flieht die junge Offizierin in die Metropole, in der sie nicht nur auf Alek, sondern auch auf die Revolutionäre trifft, die den Sultan zum Abdanken zwingen wollen. Da kommt es gut, dass die Rebellen eigene Läufer haben, mit denen man die den „Leviathan“ bedrohende Tesla-Kanone ausschalten kann…
Erneut bietet Europa am Vorabend des Ersten Weltkriegs das faszinierende Panorama, vor dem Westerfeld seine erneut spannend aufgezogene und abwechslungsreiche Handlung ablaufen lässt. Steht zu Beginn des Romans selbige noch ganz im Zeichen der darwinistischen Schöpfungen, so bietet Istanbul, das von den Mechanisten unterstützt, ja geprägt wird, dem Autor die Möglichkeit, die entsprechenden Erfindungen und Geschöpfe aus deutscher Fertigung vorzustellen. Daneben nimmt die Metropole am Bosporus, die einzige Stadt, die auf zwei Kontinenten liegt, breiten Raum ein. Geschickt lässt der Autor hier so manches Wissenswertes über Bewohner, Kultur und Stadtgeschichte einfließen und verzaubert den Leser durch eine einfühlsame Darstellung der Stadt.
Im Zentrum stehen neben den phantastischen Schöpfungen sowohl der Darwinisten als auch der Mechanisten natürlich weiterhin die Beziehung des fliehenden Thronerben zu der bürgerlichen Luftfahrerin. Mit einer osmanischen Agentin tritt eine Rivalin in Erscheinung, die der nicht erklärten jungen Liebe gewaltig Konkurrenz macht. Hinzu kommt, dass immer mehr der entscheidenden Personen Deryns Verkleidung durchschauen, mit einer entscheidenden Ausnahme: Alek ahnt immer noch nichts davon, dass in der Uniform seines Darwinisten-Freundes ein Mädchen steckt.
Der Text liest sich erneut sehr flüssig und angenehm auf einen Rutsch durch. Der Unterhaltungswert ist ebenso hoch wie das Tempo, die Gewaltdarstellungen eher gemäßigt. Stattdessen berichtet uns der Autor in einer sehr bildreichen Sprache lieber gekonnt von den mechanischen Läufern, Elefanten und Fluggeräten. Das Endergebnis liest sich einmal mehr als Werbung für den aufkommende Steampunk Hype, verbindet geschickt historische Fakten mit Phantasie, und Abenteuer mit Charakterzeichnung.