Jeanne C. Stein: Verführung der Nacht – Anna Strong 1 (Buch)

Jeanne C. Stein
Verführung der Nacht
Anna Strong 1
(The Becoming, 2006)
Aus dem Amerikanischen von Katharina Volk
Titelgestaltung von ZERO Werbeagentur unter Verwendung eines Motivs von Getty Images, Kollektion Photonica, Veer Bill Dension
Knaur, 2008, Taschenbuch, 314 Seiten, 7,95 EUR, ISBN 978-3-426-63852-1

Von Irene Salzmann

Anna Strong arbeitet als Kopfgeldjägerin für ein Kautionsbüro. Nachdem ein Job gründlich schiefging, sie schwerverletzt und vergewaltigt wurde, ist nichts mehr, wie es einmal war. Das liegt jedoch weniger an dem traumatischen Erlebnis als an dem Umstand, dass ihre Zielperson sie in einen Vampir verwandelte. Es fällt Anna schwer, diesen Umstand zu akzeptieren und sich mit ihrem neuen Dasein zu arrangieren. Hilfe erhält sie von dem Arzt Dr. Grant Avery, der ihr die wichtigsten Regeln beizubringen versucht – und mehr: Anna erliegt seinem Charme und verliebt sich in ihn, obwohl sie nicht in allen Punkten mit ihm einer Meinung ist und es bereits einen Mann in ihrem Leben gibt.

Nachdem ihre Wohnung von einem Brandstifter in Schutt und Asche gelegt und ihr Kollege von Unbekannten entführt wurde, rät ihr Avery, ihre menschlichen Freunde und Belange zu vergessen, um nicht ständig unter Verlustgefühlen leiden zu müssen. Anna jedoch bedient sich ihrer neuen Gaben, um an die Entführer heranzukommen: Sie will ihren Freund retten, auch wenn er ‚nur‘ ein Mensch ist. Schließlich findet sie eine Spur und erlebt eine große Überraschung und eine noch größere Enttäuschung …

Jeanne C. Stein fügt, wie so viele andere Autorinnen und Autoren auch, dem Vampir-Mythos wieder eine neue Facette zu: Ihre Blutsauger haben sich angepasst und müssen das Tageslicht nicht fürchten. Sie können sogar essen und trinken, sofern die Speisen nicht mit Knoblauch gewürzt wurden. Zum Überleben benötigen sie in größeren Abständen eine kleine Menge arterielles Blut; die Nahrungsaufnahme ist ein angenehmer Vorgang, vor allem in Verbindung mit Sex. Untereinander können die Vampire gedanklich kommunizieren und besitzen (vielleicht) noch einige weitere Fähigkeiten. Sie sind relativ unsterblich, stärker, schneller und ausdauernder als Menschen. Ihre Existenz halten sie geheim, denn von einer Gruppe, die sich ‚Rächer‘ nennt, werden sie schon seit Jahrhunderten gejagt, obgleich die Vampire nie jene Monster waren, die die Literatur beschreibt, sondern wie jeder Mensch zwischen Gut und Böse wählen und ihren Durst beherrschen können.

Von heute auf morgen muss sich Anna an die offensichtlichen Vorteile gewöhnen, die ihr neues Leben als Vampir mit sich bringt. Nachteilig ist nur, dass sie den Schein wahren muss, da niemand von ihrer Wandlung wissen darf. Nicht nur sie selber sondern auch ihre Angehörigen würden sonst in den Fokus der Rächer geraten, die es sich zum Ziel gesetzt haben, alle Vampire auszulöschen. Ob diese Feindschaft lediglich auf der Angst vor ‚dem Anderen‘ beruht oder konkrete Vorkommnisse die Ursache sind, wird nicht näher ausgeführt, da Avery, Annas Mentor, viele Geheimnisse für sich behält.

Obwohl er ihr seine Hilfe geradezu aufdrängt, ist sie stets dann allein, wenn es wirklich hart auf hart kommt. Beispielsweise wird sie von einem Cop angehalten, der sich als Mitglied der Rächer entpuppt und sie zusammen mit seinen Kameraden töten will. Anna folgt der Spur ihres Schöpfers, um von ihm wichtige Informationen zu erhalten, doch bevor er zu viel verraten kann, wird er eliminiert und sie selber angeschossen. Als sie in den Augen eines anderen Vampirs für seine Gruppe zu gefährlich wird, attackiert er sie, und Avery, der sich im selben Haus befindet, greift nicht ein.

So Manches, was sich um Anna herum abspielt, ist merkwürdig. Während der Leser schnell Eins und Eins zusammenzählt, braucht die Protagonistin sehr lang, um Augenscheinliches zu begreifen – sowohl im Kleinen, wie im Großen. Das lässt sie stellenweise etwas unglaubwürdig erscheinen, aber hätte sie schneller kombiniert, wäre das Buch höchstens halb so lang geworden. Hinzu kommt, dass sie manchen Konflikt durch unbedachtes Handeln selber heraufbeschwört und hin und wieder bloß Dank Deus ex Machina, der wohl erst in späteren Bänden ein Gesicht erhalten wird, das Blatt wenden kann.

Die Vergewaltigungsszene und wie schnell Anna darüber hinwegkommt, stößt vor allem Leserinnen besonders sauer auf. Das Opfer begehrt tatsächlich den unattraktiven Täter! Das wird zwar mit der Macht erklärt, die Vampire über Menschen haben, und findet ihre Fortsetzung in der Leichtigkeit, mit der Avery Anna ihren Freund und ihre Verdächtigungen vergessen lässt, aber das mangelnde Einfühlungsvermögen und die Gedankenlosigkeit, mit der die Autorin ein so ernstes Thema aus rein dramaturgischen Gründen benutzt, wirken schon fahrlässig. Kein Wunder, dass dann viele Männer immer noch glauben, eine Frau meint in Wirklichkeit ‚Ja‘, obwohl sie ‚Nein‘ sagt, und müsse zu ihrem Glück gezwungen werden…

Kann man sich mit diesen nicht unerheblichen Mankos arrangieren, erhält man einen Roman, der eine durchaus abwechslungsreiche und spannende Handlung bietet, die nicht von komplizierten Beziehungen und Sex allein lebt. Die Freunde der Romantic Mystery und des soften Horrors könnten gleichermaßen an dem Titel interessiert sein.