Jesse Bullington: Die traurige Geschichte der Brüder Grossbart (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 23. April 2011 10:22
Jesse Bullington
Die traurige Geschichte der Brüder Grossbart
(The Sad Tales of the Brothers Grossbart, 2009)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Eva Bauche-Eppers
Titelillustration von Oliver Wetter
Innenillustrationen von Karl Piepenburg
Bastei-Lübbe, 2011, Paperback, 542 Seiten, 14,00 EUR, ISBN 978-3-404-28550-1
Von Carsten Kuhr
Märchen, das ist doch etwas für Kinder. Doch so manche Sagen und Märchen sind voller Zauber, strotzen nur so vor grimmigen Wesen und einer Handlung, die einem Albträume beschert. Da kann sich die moderne, ach so uniforme Fantasy so manches Mal eine dicke Scheibe abschneiden was solch hehren Werte wie Originalität, Handlungsaufzug, stringenter Fluss des Plots und auch Gewaltdarstellung anbelangt. Jesse Bullinton hat sich der Aufgabe gewidmet, ein modernes Märchen zu erzählen. Dass er dabei vorgibt, auf alten – deutschen – Sagenspuren zu wandeln, macht den Text, dem der Verlag besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, für den heimischen Leser nur umso interessanter.
Erzählt wird die Geschichte zweier Brüder, Hegel und Manfried benannt. Nun sind die Brüder Grossbart beileibe keine netten Jungen. Ohne jegliche Skrupel oder Gewissen suchen sie ihr Leben als Leichenfledderer möglichst angenehm zu gestalten. Als Angehörige einer Familie übel beleumdeten Namens ist es ihnen gleich, ob man sie bei dem Öffnen von Gräbern und Gruften bemerkt. Die Toten brauchen das Geschmeide nicht mehr, und sie müssen ihren Unterhalt bestreiten. Dass sie dabei der Jungfrau Maria folgen hindert sie nicht daran, deren Bastardsohn zu verhöhnen und seine Gesetze zu übertreten. Als sie für vermeintlich ihnen zugefügtes Unrecht die Familie eines Bauern ermorden, müssen sie aus ihrer Heimat fliehen. Auf der Suche nach den Schätzen der Sarazen-Gypter begegnen sie Werwesen, werden von einer Hexe verflucht, treffen auf den Schwarzen Tod und Dämonen und begleiten eine Nixe und deren Besitzer über Venedig gen Morgenland – immer verfolgt von der Rache ihrer Opfer…
Was ist dies für ein Buch, das dem Leser bereits äußerlich aufsehenerregend daherkommt? Neben dem Titelbild, in das versteckt ein Totenkopf eingearbeitet wurde, sprechen auch die passenden Innenillustrationen dafür, dass der Verlag hier keine Kosten und Mühen geschaut hat, das Werk herauszustellen.
Die mustergültige Übersetzung von Eva Bauche-Eppers trägt dazu bei, sogleich Märchenfeeling aufkommen zu lassen. Dabei wandelt der Autor auf historischen Spuren – soll heißen, dass wir es nicht etwa mit den Disney-weichgespülten Märchengestalten zu tun bekommen, sondern die Zeit der Handlung in all ihrer Brutalität realitätsnah präsentiert bekommen. Kaum eine Bedrohung, die nicht Aufnahme gefunden hat. Sei es der Schwarze Tod, Hunger, Vergewaltigung, Inquisition – den Gebrüdern begegnet auf ihrer Reise gen Süd-Osten alles, was die Menschen damals umtrieb und heimsuchte. Angereichert wurde diese bedrohliche Welt dann noch mit übernatürlichen Gefahren – Hexen und Dämonen sorgen dafür, dass das Böse eine ganz andere Qualität annimmt.
Bedrohlich geht es zu, ungesittet, roh und rau, brutal und böse – und doch agieren die Gebrüder Grossbart ganz in ihrem persönlichen Wertesystem. Dass man als Leser dieses verinnerlicht und dem Autor abnimmt, dass man trotz der Taten, die die Beiden begehen, das Interesse an ihnen nicht verliert, ist eine der Großtaten Bullingtons. Nicht nur, dass er uns die damalige Welt in ihrer ganzen Brutalität überzeugend schildert, ihm gelingt auch das Kunststück, seine Gestalten – gleich, ob diese nun Täter oder Opfer sind – plausibel und überzeugend agieren zu lassen. Das ist weit davon entfernt, dem gängigen Fantasy-Schemata zu entsprechen, das ist neu, intensiv und so manches Mal erschreckend, kokettiert mit der Faszination des Bösen, der Gewalt, bleibt dabei aber inhaltlich geschlossen und stilistisch mit der verwandten altertümlichen Sprache packend.