Adam Hülseweh: Das Vexyr von Vettseiffen (Buch)

Adam Hülseweh
Das Vexyr von Vettseiffen
H. P. Lovecrafts Schriften des Grauens 16
Titelbild: Erik R. Andara
Innenillustrationen: Jörg Kleudgen
Blitz, 2020, Taschenbuch, 128 Seiten, 12,95 EUR

Rezension von Elmar Huber

Hans Scheibler, ein über die Maßen korrekter und farbloser Charakter, erhält von seinem Vater den Auftrag, seiner verwitweten Tante Lilly in ihrem ‚Oclave‘-Verlag für Groschenhefte unter die Arme zu greifen. 

Vettseiffen, wo sich Verlags- und Wohnsitz der Tante befinden, erweist sich als heruntergekommenes Dorf, in dem man nicht begraben sein möchte. Kaum dort angekommen, befällt Hans eine unerklärbare Schwäche, die ihn ans Bett fesselt. In einigen Episoden des Deliriums entwickeln die grotesken Porzellanfiguren seiner Tante - „Mischformen aus Meeres- und Landlebewesen“ - ein bizarres Eigenleben. Nur dank der Injektion von Dr. Lobkrafts patentiertem Stärkungsmittel überwindet Scheibler diese Phase und kann endlich dem Auftrag seines Vaters nachkommen.

Doch auch nach seiner Gesundung ist der Aufenthalt in Vettseiffen für Scheibler von allerlei merkwürdigen Ereignissen und Begegnungen geprägt. In den Druckerzeugnissen des Verlags finden sich unerklärliche Druckfehler und Leerstellen, eine geheimnisvolle Höhle samt Schmalspurbahn führt unmittelbar vom Verlagsgebäude in die Tiefen der Erde, und zu guter Letzt glaubt Hans sogar, seinen verstorbenen Onkel gesehen zu haben.


Die famose Ina Elbracht hat wieder zugeschlagen. Mit ihrem bemerkenswerten Debüt „Klunga und die Ghule von Köln“ etablierte sich die Autorin vom Fleck weg als humorvolle und ideenreiche Phantastik-Erzählerin, die mit liebevoller Ironie zu Werke geht, dabei aber nie ihre Charaktere bloßstellt.

In Aufbau und Stimmung erinnert „Das Vexyr von Vettseiffen“ an viele andere Geschichten, die sich auf das Erbe von H. P. Lovecraft berufen. Ein introvertierter Charakter gerät auf sich gestellt in ein unbekanntes Umfeld und wird Zeuge merkwürdiger oder unheimlicher Ereignisse. Nach und nach gerät der Protagonist selbst ins Zentrum dieser Geschehnisse, bis ein Entkommen unmöglich ist.

Ina Elbracht nutzt diesen klischeehaften Aufbau als Fundament und spickt ihn mit allerlei smarten und ausgetüftelten Details, dass es eine wahre Freude ist. Beispielsweise sind die beschriebenen Druck-Leerstellen der ‚Oclave‘-Romanhefte auch im Buch vorhanden, wobei die Aneinanderreihung der fehlenden Buchstaben eine Botschaft ergibt. Sogar die erneute Verwendung des Pseudonyms Adam Hülseweh (unter dem auch „Klunga und die Ghule von Köln“ erschienen ist) erhält innerhalb der Geschichte ihren Sinn. Damit kommt eine gehörige Schippe Humor ins Spiel, was skurril-belustigend wirkt, aber nie die Bedrohlichkeit der gesamten Situation untergräbt. Ein schmaler Grat, den die Autorin hervorragend begeht.

Der Titel des Romans bezieht sich auf den Doppel-Effekt eines Vexierbilds (ein Bild, das außer der offensichtlichen Abbildung noch eine weitere, mehr oder weniger verborgene Abbildung enthält) und deutet an, dass auch der Ort Vettseiffen unter seiner Oberfläche mehr bereithält, als auf den ersten Blick zu erkennen ist.

„Das Vexyr von Vettseiffen“ ist ein Lovecraft-Pastiche mit eigener Stimme. Ina Elbracht spielt überragend raffiniert und launig mit bekannten Klischees.