Reinhard Klein-Arendt & Michael Schmidt (Hrsg.): Die Geisterseher (Buch)

Reinhard Klein-Arendt & Michael Schmidt (Hrsg.)
Die Geisterseher
Titelbild: Björn Ian Craig
Innenillustrationen: Adrian van Schwamen
2025, Hardcover, 374 Seiten, 25,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Man hat als Leser und Fan der klassischen Schauer-Literatur ein wenig den Eindruck, dass nach Jahrzehnten, in denen entsprechende Werke - außerhalb der von Frank Rainer Scheck und Erik Hauser herausgegebenen Anthologien in der Reihe „Meister-werke der dunklen Phantastik“ im Blitz Verlag - nirgends erschienen, gegenwärtig eine wahre Schwemme entsprechender Bücher aufgelegt wird.

Neben Lars Dangel, der sich hauptsächlich den zu Unrecht vergessenen Autoren deutscher Zunge widmet, stößt man dabei vermehrt auf den Namen Reinhard Klein-Arendt. In der Edition Dunkelgestirn erschien erst kürzlich ein umfangreicher Band, „Angst im Empire“, nun folgt - zusammen mit Michael Schmidt, der erste Band einer neuen, kleinen Reihe.

Fünfzehn phantastische Kurzgeschichten aus der englischsprachigen Welt aus den Jahren 1895 bis 1940, über haarsträubende Begegnungen mit dem Jenseits und gespenstische Widersacher aus dem Diesseits, erwarten den Lesenden.

Reinhard Klein-Arendt führt in einem informativen Vorwort in den Band ein und beleuchtet die einzelnen Beiträge jeweils kurz und prägnant. Neben dem stimmungsvollen Titelbild von Björn Ian Craig hat der Verlag dem Band noch Innenillustrationen von Adrian van Schwamen gegönnt.

Ich gebe gerne zu, dass mich derartige Erzählungen immer fasziniert haben. Unheimliche Geschichten wirken in einer lange zurückliegenden Zeit oftmals in sich stimmiger und atmosphärisch dichter als in unserer hochtechnisierten Ära.

Mich persönlich sprachen dabei Beiträge besonders an, in denen die Verfasser uns in Gegenden mitnehmen, die damals als Terra incognita galten; urwüchsige Landschaften, raue Gebirge, fremde Völker mit ihren Göttern und Überlieferungen. Insoweit hatten es mir die Novellen von Benson, Burke, Whitehead, Edmonds und Perrin besonders angetan. Hier wurde der Sense of Wonder geradezu vorbildlich mit etwas Unerklärlichem gekreuzt - ein ums andere Mal lief mir ein Schauer über den Rücken.

Das Pfund, mit dem die Herausgeber hier wuchern können, ist die Tatsache, dass sie sich eben gerade nicht auf Verfasser aus Britannien oder Nordamerika beschränken, sondern auch Stimmen aus den ehemaligen britischen Kolonien integrieren.

Zu erwähnen bleibt noch, dass der Band - so er bei den Interessierten ankommt - eine kleine Reihe entsprechender Veröffentlichungen einleiten soll.


Was aber erwartet uns nun im Einzelnen in dem Band?

Thomas Burkes „Johnson, blick dich nicht um…!“ entführt uns in ein London, das von giftigem Nebel aus den Schloten der Fabriken heimgesucht wird. In diesem Nebel treibt etwas sein Unwesen, das…

Madeline Yale Wynnes „Das kleine Zimmer“ berichtet uns von einem pittoresken Zimmer inmitten der Einsamkeit Vermonts, das - je nach Besucher - mal vorhanden ist, wenn man die Tür öffnet, mal steht dort nur ein Geschirrschrank…

Henry Chapman Mercers „Das Schloss der Puppen“ ist in New York angesiedelt. In einem der wenigen respektablen Viertel der Stadt stehen in benachbarten Straßen Häuser, die derart austauschbar sind, dass man als Besucher kaum weiß, in welchem Anwesen man sich gerade befindet. Tragisch insbesondere dann, wenn dort Kinder spurlos verschwinden und nur alte Puppen zurückbleiben.

In „Die Pest des Jahres 1905“ berichtet uns Ernest Favenc genau über diese Heimsuchung Australiens aus der Sicht eines Mannes, der an das Sterbebett eines anderen gerufen wird und dort einer Heimsuchung in Gestalt zweier Vampirfledermäuse begegnet.

Edward Frederic Bensons „Die Schritte“ entführt uns nach Alexandria in Ägypten. Ein skrupelloser britischer Geldverleiher wird letztlich von seinen Untaten eingeholt - denn irgendwann manifestiert sich das, was er zu Beginn nur als Geräusch hört: sein Opfer.

Arabella Kenealys „Das heimgesuchte Kind“ berichtet uns von einem Totschlag aus Leidenschaft, der nicht nur dazu führte, dass der Täter gehängt wurde, sondern auch, dass das Kind seiner Liebe gar merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag legt.

„Der Elementar“ von Ulric Daubeny stellt uns eine Persönlichkeit aus Sportlerkreisen vor, dessen Tagebuch eine gar unerhörte Veränderung dokumentiert, die letztlich dazu führt, dass…

Thomas Burkes „Die Ahnentafeln des Hauses Li“ erzählt uns eine sehr stimmungsvolle Geschichte von einem Chinesen, der - den konfuzianischen Lehren folgend - seine Lebensschuld bei einem Briten ableistet.

„Die schwarze Bestie“ von Henry S. Whitehead berichtet uns von einer der Jungferninseln. Die ehemalige dänische Kolonie, die 1917 an die Amerikaner verkauft wurde, ist Schauplatz von etwas Dunklem - einem Voodoo-Ritus, der gar Schreckliches bewirkt.

James Edmonds „Die schwindelerregende Geschichte vom hohen Berg und den drei Skeletten“ führt uns nach Neuseeland. Hier begegnen uns drei Goldsucher, die einer Spur folgend die höchsten Höhen der dortigen Alpen erklimmen - nur um dort auf unerwartete Bewohner zu stoßen.

Patrick Carletons „Die Residenz des Dr. Horder“ spielt in Cambridge, genauer gesagt an einem der dortigen Colleges. Die Zimmer eines früheren Leiters sollen, nachdem ihr Gebrauch jahrzehntelang verboten war, nun wieder Wohnzwecken zugeführt werden. Der junge Student, der die Räume bezieht, bemerkt aber bald darauf einen beißenden Geruch und merkwürdige Träume - Träume, die immer realer erscheinen und gefährliche Wirkungen zeigen.

Elinor Mordaunts „Luz“: Luz nannten die Römer einen kleinen Wirbel des Rückgrats, der - so er aus dem noch lebenden Körper entnommen wird - körperliche Unsterblichkeit verleihen soll. Als gelber Nebel über London wabert, wird eine junge Frau von einem Blinden entführt - einem Blinden, der einen Plan hat.

Herbert Russell Wakefields „Die erste Garbe“ berichtet von einem englischen Dorf. Um die ständig drohende Dürre abzuwehren, vollziehen die Bauern ein uraltes Ritual, das die Götter - so sie denn gnädig gestimmt sind - mit Regen belohnen. Der Preis hierfür ist jedoch hoch.

„Die geheimnisvolle Maisse“ von Wirt Gerrare erzählt vom Schicksal einer jungen Gesellschafterin, deren Herrin Séancen veranstaltet und dunkle Geheimnisse hütet - sehr zum Leidwesen der Vorgängerinnen der Gesellschaftsdame.

Alice Perrins „Das Tigeramulett“ spielt in Indien. Im Dschungel nahe dem Himalaya versucht ein verbohrter Brite, eine der gestreiften Katzen zu erlegen - ob seine junge Frau, die die klimatischen Verhältnisse kaum aushält, dabei stirbt oder sein Freund, den er verdächtigt, mit seiner Frau untreu gewesen zu sein, dabei umkommt - was soll’s, Hauptsache, die Trophäe ist da. Doch dann greift der Tiger an, und das Schutzamulett des verstorbenen Führers kommt ins Spiel.


Bis auf zwei Geschichten handelt es sich um deutschsprachige Erstveröffentlichungen. Die Beiträge von Edward Frederic Benson sowie Arabella Kenealy erfreuten das Leserherz bereits in „Zwielicht“ 18 und 19. Die Herausgeber haben neben dem Vorwort dem Band zum Abschluss noch eine Vorstellung der enthaltenen Autoren beigefügt.