Everina Maxwell: Echo der Welten (Buch)

Everina Maxwell
Echo der Welten
Winter‘s Orbit 2
(Ocean’s Echo, 2022)
Übersetzung: Sabine Elbers
Titelbild: Magdiel Lopez
Cross Cult, 2024, Paperback, 606 Seiten, 18,00 EUR)

Rezension von Carsten Kuhr

Tennalhin Halkana ist ein Arsch. Schlimmer noch, er ist ein Drecksack aus einer bedeutenden Familie. Außerdem ist er einer der stärksten bekannten Leser, sprich, er kann telepathisch in die Geister seiner Mitmenschen eindringen und deren Geheimnisse zutage fördern.

Erwähnte ich schon, dass er ein richtiger Mistkerl ist? Soll heißen, statt den Luxus und die Sicherheit, die seine Tante - immerhin die herrschende Legislatorin - ihm bietet, zu schätzen, weiß er nichts Besseres mit seinem Leben anzufangen, als ständig auszubrechen. Er setzt sich ein ums andere Mal ab, lässt sich mit Gaunern, Ganoven und Drogendealern ein, die ihn für seine Dienste verstecken. Doch dann findet ihn das Militär doch, und schon sitzt er mal wieder im Büro von Tantchen.

Die hat verständlicherweise die Nase gestrichen voll und entsorgt ihn dorthin, wo er vielleicht doch noch irgendwie nützlich sein könnte. Er darf sich freiwillig für das Militär melden.

Damit das nicht ganz aus dem Ruder läuft, soll er mit einem Menschen gebunden werden, der ihn überschreiben, also zwingen kann, das zu tun, was dieser für richtig und angemessen hält. Ein Horror für unseren Tunichtgut.

Surit, Abkömmling einer Verräterin aus einer notleidenden Familie, hat die besten Noten. Braucht er auch, wenn er dann, entgegen allen Vorurteilen, im Militär seinen Weg machen will - schließlich geht es darum, seine Zieheltern mit einer dringend notwendigen Rente zu versorgen. Wichtiger noch: Surit ist Architekt.

Nach dem Fund der Alien-Artefakte vor gut 20 Jahren wurden zunächst Freiwillige mit beiden Gaben bedacht - als sich herausstellt, dass ein menschlicher Geist nicht beide Fähigkeiten halten kann, trennte man kurzerhand die Gaben. Also willigt Surit ein, Tennal zu überschreiben und dauerhaft, so wie in nicht nie lösbar, an sich zu binden.

So eine geistige Vergewaltigung ist aber doch auch gar nicht nach Tennals Geschmack. Dann aber erweist sich der Typ, der auf den ersten Blick ein Paragraphenreiter par excellence zu sein scheint, als durchaus attraktiver und verständnisvoller Vorgesetzter, der die zwangsweise Rekrutierung aus tiefer Überzeugung ablehnt.

Die beiden tüfteln einen Plan aus, der Hoffnung für Tennals Zukunft bietet - nur dass sie mitten hineinrauschen in eine Verschwörung, die nur zu bald in einen bewaffneten Aufstand und Putsch übergeht. Damit haben sie nun wirklich nicht gerechnet - zumal anscheinend nur sie den Aufstand verhindern können, ob sie das nun wollen oder nicht…


Was ist das für ein woker Roman? Der zweite in einem gemeinsamen Universum, der aber eine ganz eigene Geschichte mit neuen Figuren und Handlungsorten erzählt, als „Herz des Imperiums“.

Ich deutete es mit dem Begriff woke schon an: Es geht in eine Welt, in der nichtbinäre Personen alltäglich sind, in der gleichgeschlechtliche Beziehungen, Familien mit mehr als zwei Elternteilen etc. an der Tagesordnung sind. Entsprechend bietet sich der Text stilistisch in der sehr gut lesbaren Übersetzung von Sabine Elbers auch an.

Wer sonst, wie ich als alter Mensch manches Mal auch, mit dem Gendern seine Probleme hat, wird allerdings erfreut feststellen, dass sich der Roman trotzdem flüssig und fesselnd liest. Zu verdanken hat der Text seine Goutierbarkeit auch der Tatsache, dass Everina Maxwell den Fehler vieler ihrer Kolleginnen und Kollegen vermeidet. Sie integriert ihre woken Elemente als etwas Alltägliches, Normales, ohne sie ins Zentrum zu stellen, und konzentriert sich lieber auf ihren Plot. Gut gemacht.

Dabei erzählt sie uns verschiedene miteinander verbundene Geschichten. Es geht um die erblühende Liebe zweier ganz unterschiedlicher Männer zueinander, um einen militärischen Putsch, um äonenalte Hinterlassenschaften einer lange vergessenen galaktischen Spezies, um Machtmissbrauch, Überheblichkeit und Opferbereitschaft.

Dabei wuchert die Verfasserin hauptsächlich mit ihren beiden Protagonisten. So unterschiedlich diese vom Wesen her sind, so interessant sind ihre Charaktere und der Versuch dieser beiden so verschiedenen Menschen, sich einander anzunähern. Dabei bleibt das Körperliche außen vor; die Autorin konzentriert sich - auch hier richtig gemacht - auf die Gefühle der Protagonisten.

Ihre Unsicherheit, ihr Zweifeln, ihr behutsames Antasten, erste Vertrauensvorschüsse - hier zeichnet Maxwell vor unseren Augen das sehr einfühlsame Bild einer beginnenden Romanze. Dass diese dann abrupt von außen gestört wird, dass Verrat, Erpressung und jede Menge sich nach und nach offenbarender Geheimnisse die Love Story stören, fügen Tempo und Dramatik hinzu.

Wie schon gesagt: Die Autorin hat Vieles richtig gemacht.

Das heißt nicht, dass es nichts zu kritisieren gäbe: Die Gesellschaft außerhalb der streng reglementierten Zwänge des Militärs bleibt offen - hier erfahren wir schlicht nichts. Auch die politischen Zustände in den menschlichen Regionen, die beherrschende Resolution als Macht im Hintergrund, bleiben rätselhaft und Technik rudimentär und nur Mittel zum Zweck.

Dennoch konnte mich der Roman in seinen Bann ziehen. Voller unerwarteter Wendungen zeigt er uns zwei Menschen, die zueinander finden, die ihren inneren Werten, so verschieden diese auch sind, treu bleiben, die sich aufmachen, einem gewaltsamen Putsch mutig entgegenzutreten und dabei vor Verantwortung und persönlichen Opfern nicht zurückschrecken. Lesen, auch wenn Sie nicht unbedingt Romantasy-Fan sind.