Ulrike Schweikert: Dracas – Die Erben der Nacht 4 (Buch)

Ulrike Schweikert
Dracas
Die Erben der Nacht 4
Titelgestaltung von Nele Schütz Design unter Verwendung einer Illustration von Paolo Barbieri
Autorenfoto von Robert Brembeck
cbt, 2010, Paperback mit Klappenbroschur, 512 Seiten, 12,95 EUR, ISBN 978-3-579-30656-7

Von Irene Salzmann

Das 19. Jahrhundert neigt sich dem Ende entgegen. Während die Menschen fortschrittliche Erfindungen machen und sich dadurch neue Möglichkeiten schaffen, degenerieren die Vampire und müssen ihre Entdeckung und den Verlust ihrer Verstecke fürchten. Um das Überleben ihrer Art zu sichern und die neue Generation junger Vampire auf die sich immer schneller verändernde moderne Welt vorzubereiten, sind die sechs Clans überein gekommen, ihre gegenseitigen Vorbehalte und Feindschaften ruhen zu lassen und zusammenzuarbeiten.

Die Kinder und Jugendlichen sollen gemeinsam in den unterschiedlichen Fähigkeiten, über die jeder Clan verfügt, unterwiesen werden. So erlernten die Vampire in Rom bei den Nosferas, wie man der Macht religiöser Symbole widersteht, bei den Lycana in Irland, wie man sich in ein Tier verwandelt, und bei den Pyras in Paris, wie man sich in einer fremden Umgebung orientiert und ein kleines Tier als Späher einsetzt. Diese Kenntnisse waren ihnen bereits einige Male von Nutzen, denn sie stießen auf Vampir-Jäger und die Angehörigen eines mysteriösen siebten Clans, über dessen Existenz die erwachsenen Vampire nie etwas hatten verlauten lassen.

Diesmal treffen sich die jungen Vampire in Wien bei den Dracas. Inzwischen sind sie älter und etwas reifer geworden, Freundschaften haben sich gefestigt – und auch romantische Gefühle keimen. Sehr zur Enttäuschung von Alisa de Vamalia scheinen die Dracas mehr daran interessiert zu sein, die ‚unter ihrem Stand‘ befindlichen Mitglieder der anderen Clans ohne Blamagen in die Wiener Gesellschaft einzuführen, statt sie zu unterrichten, wie man in die Gedanken anderer eindringt und diese kontrolliert. Zu ihrer Überraschung erklärt sich Franz Leopold de Dracas, mit dem sie eine Art Hass-Liebe verbindet, dazu bereit, sie, Ivy-Màire de Lycana und Luciano de Nosferas heimlich zu unterrichten.

Franz Leopold zeigt sich von seiner besten Seite, und Alisa beginnt, ihn mit anderen Augen zu sehen, doch dann begeht er einen großen Fehler. Aus Eifersucht auf Luciano, der sich in Clarissa Todesco, einen Mensch, verliebte, versucht er, das Mädchen zu verführen und trinkt von ihrem Blut. Darüber droht die Freundschaft zu Alisa, Luciano und Ivy zu zerbrechen. Es gibt nur eine Möglichkeit, Clarissa zu retten: Gemeinsam müssen sie die Sterbende wandeln und zu Lucianos Servientin machen. An die Konsequenzen daraus – für Clarissa und sie selbst – wollen sie lieber nicht denken.

Aber es kommt noch schlimmer: Nur wenige wissen, dass Ivy kein geborener Vampir sondern eine Servientin ist. Wann sie ihr Geheimnis nicht länger verbergen kann, ist bloß eine Frage der Zeit, denn sie altert nicht, und Verletzungen heilen binnen weniger Stunden. Ein gemeiner Verrat sorgt dafür, dass die Dracas sie davonjagen, ausgerechnet als der mysteriöse Unbekannte, der sie schon seit längerem verfolgt, die Zeit für reif befindet, seine Pläne zu realisieren. Er entführt Ivy, um sie, die Vampirin und zugleich ein Geschöpf uralter Magie ist, zur Mutter eines neuen und viel mächtigeren Vampir-Clans zu machen.

Sofort stellen Franz Leopold, Alisa und Luciano, der Clarissa der Obhut von Alisas Servienten Hindrik anvertraut, ihren Konflikt zurück und folgen der Spur des Urvaters der Vampire nach Transsilvanien, in die Heimat der Upiry. Unterstützung erhalten sie ausgerechnet von dem Vampir-Jäger Professor van Helsing, dem Schriftsteller Bram Stoker, der von Ivy überaus fasziniert ist, und dem Vampir-Experten Ármin Vámbéry, die ebenfalls hinter dem übermächtigen Feind her sind. Können sie ihn mit vereinten Kräften besiegen und Ivy ein grausames Schicksal ersparen?

„Die Erben der Nacht“ haben in mittlerweile vier umfangreichen Büchern schon eine Menge erlebt. Ulrike Schweikert entführt ihre Leser in jedem Band an einen anderen geschichtsträchtigen Schauplatz, an dem sie selber recherchierte und an dem sie interessante historisch belegte Zeitgenossen ihrer jungen Helden auftreten lässt oder wenigstens erwähnt (Oscar Wilde, Bram Stoker, Johann Strauss etc.).

Die Vampire sind nun zu Teenagern und jungen Erwachsenen herangereift, deren Konflikte und Träume eine ganz andere Qualität haben als noch zu Beginn der Serie. Zwar sind die Rivalitäten zwischen Luciano und Franz Leopold sowie der verbale Schlagabtausch zwischen diesem und Alisa immer noch ein Bestandteil der Interaktion, aber sie benehmen sich weniger kindlich und beweisen, dass sie auch über ihren Schatten springen können, wenn es notwendig ist. Beispielsweise zerstört Franz Leopold aus einer Laune heraus beinahe die Freundschaftsbande, die er zu Luciano, Alisa und Ivy knüpfte und die ihm sehr viel mehr bedeuten, als er sich in seiner Arroganz eingestehen möchte. Er erhält jedoch die Gelegenheit zu bereuen und seine Tat, wenn auch nicht ungeschehen, so doch wenigstens wiedergutzumachen. Auch Latona, die allen Grund hat, die Vampire zu hassen, hilft ihnen, weil sie sich in Malcom de Vyrad verliebte und begonnen hat, seinesgleichen mit anderen Augen zu sehen, eine Entwicklung, die auch van Helsing durchmacht und der sich Clarissa noch stellen muss.

Überhaupt wird die Handlung immer komplexer und komplizierter durch das intensive, wandelbare Beziehungsgeflecht der Akteure. Um den Leser nicht zu sehr zu verwirren, konzentriert sich die Autorin weiterhin auf ihre Hauptfiguren und sorgt für einige Überraschungen, indem sie das Karussell der Liebe einmal mehr anstößt und Romanzen konzipiert, die teils überraschen (Luciano und Clarissa, eine neue Protagonistin), teils zu erwarten waren, wobei manche Beziehungen neu definiert und andere vorübergehend ausgesetzt werden, um sie nicht zu schnell zu verschleißen.

Natürlich hat die Reihe noch mehr zu bieten als eine reizvolle historische Kulisse mit sympathischen, sich stetig weiterentwickelnden Charakteren, die romantische Kabbeleien der Marke ‚clean‘ austragen. Die spannende laufende Handlung kommt keineswegs zu kurz. Was bisher nur angedeutet wurde und als roter Faden die einzelnen in sich abgeschlossenen Bücher locker verband, wird nun konkretisiert und mit einem Namen versehen, ohne jedoch alle Geheimnisse aufzudecken.

Allmählich beginnt man, die Zusammenhänge zu erkennen, doch mit den Antworten gehen weitere Fragen einher, welche die Weichen für die Fortsetzung – „Vyrad“? – stellen. Vielleicht erfährt man in London mehr über die Upiry, warum über sie so hartnäckig geschwiegen wird und ob neue Gefahren auf Ivy lauern. Auch wie man der Servientin, die alle täuschte, künftig begegnen wird, wie es für Luciano und Clarissa weitergeht und ob es für Latona ein Wiedersehen mit Malcom gibt, sind interessante Themen.

Nach „Nosferas“, dem etwas schwächelnden „Lyana“ und „Pyras“ ist auch „Dracas“ wieder ein echter Pageturner, der von der ersten bis zur letzten Seite in den Bann zieht. Der gelungene Mix aus einer packenden Handlung, die in einen belegten historischen Kontext eingebettet wurde, und romantischem Drama gefällt nicht nur Leserinnen und Lesern ab 14 Jahre, die phantastische Romane mögen, sondern auch dem reiferen Publikum.

Wem Bella und Edward in „Twilight“ zu viel jammern und turteln oder wem die Hauptfiguren der „Vampire Diaries“ zu super sind, wird von den spannenden, komplexen und vielfältigen Abenteuern der realistisch inszenierten „Erben der Nacht“ begeistert sein.