Emily Tesh: Die letzte Heldin (Buch)

Emily Tesh
Die letzte Heldin
(Some Desperate Glory, 2023)
Übersetzung: Nina Lieke
Titelbild: Cynthia Sheppard
Heyne, 2024, Paperback, 558 Seiten, 18,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Wir sind nicht allein im All. Wir, das sind die Menschen, die sich im Weltraum ausgebreitet haben. Als eine der ganz wenigen Spezies haben wir unsere interstellaren Raumschiff-Antriebe selbst entwickelt, sind den allermeisten Alien-Rassen, auf die wir gestoßen sind, auch körperlich überlegen.

Dennoch, man mag es wirklich kaum glauben, haben wir den Krieg verloren. Wir, die Rasse, die allen anderen überlegen ist, wurden geschlagen - die Erde, unsere wunderbare, blaue Heimat wurde dabei vernichtet.

Die wenigen Überlebenden haben sich arrangiert - soll heißen, sie haben unsere Werte und Überzeugungen, unsere Toten und unsere Zukunft verraten. Sie leben auf den Planeten der Aliens, bemühen sich, sich friedlich zu integrieren.

Nur wir sind übrig. Ich spreche jetzt von Gaia, einem Zusammenschluss von vier riesigen menschlichen Kampfschiffen, deren Besatzungen den Krieg nie aufgegeben haben. Unsere Kinder werden künstlich gezeugt und genetisch zu mächtigen Kriegern aufgerüstet, dann beginnt ihre Erziehung hin zu perfekten Kampfmaschinen. Nach Abschluss der Ausbildung wird man einer der unterschiedlichen Sparten zugeteilt.

Nachdem ich zu den absolut Besten meines Jahrgangs zählte, ging ich davon aus, dass ich zu den Kämpfern kommen würde - auf meinem, von meinem Onkel persönlich unterzeichneten Gestellungsbefehl steht Krippe - so wie in Gebärmaschine neuer Krieger, wie in Sicherheit und Luxus, statt Kampf für die Erde und die Menschheit gegen alle Aliens.

Das kann, das darf nicht sein. Schon meine ältere Schwester floh von der Station, mein Bruder ist auch verschwunden - wahrscheinlich auf einem Selbstmordkommando; jetzt soll ich Nachwuchs am laufenden Band gebären?

Nein, das kommt gar nicht in die Tüte. Sprich, mit Hilfe eines Freundes meines Bruders und eines gefangenen Aliens fliehe ich von Gaia, suche und finde meine Familie auf dem Planeten der Majoda. Nur, dass sie so gar nicht gegen die Aliens kämpfen wollen, dass sie sich ihr Leben hier eingerichtet haben; das kann ich nicht glauben, nicht verstehen, nicht akzeptieren.

Wenn sie Gaia in Stich lassen, kapitulieren, ich werde das nicht tun. Also beginne ich zu planen - wie kann ich den Aliens am meisten schaden… doch irgendwann kommen erste, zunächst leise Zweifel über meine selbst gewählte Mission, die sich partout nicht unterdrücken lassen…


Was ist das für ein Einzelroman der preisgekrönten Autorin? Auf den ersten Blick kann man den Plot schnell ins Military-SF-Genre einordnen. Erst später geht die Verfasserin dann ganz andere, eigene Wege.

Ja, es geht um die Indoktrination von jungen Menschen, um Radikalisierung; darum, zu zeigen, wie gnadenlose, verbohrte Kämpfer geschaffen werden. Das ist heute leider höchst aktuell und erschreckend real. Das bietet nicht nur temporeiche Unterhaltung, sondern auch durchaus nachdenkliche Passagen und Anstöße mit-, weiter- und nachzudenken.

Dabei zeigt die Autorin die Mechanismen der Beeinflussung durch gezielte Propaganda auf, inkludiert darin aber auch sehr persönliche Entwicklungen. Zu Beginn ist unsere Erzählerin von ihrer Mission, ihren Vorgesetzten und der ihr berichteten Version der Geschichte überzeugt. Es dauert, bis sie auch nur anfängt, die Überzeugungen zu hinterfragen, sich von den übernommenen Einstellungen und Zielen zu lösen, selbst zu denken. Mehr noch, sie muss den Feind als ein empfindungsfähiges Wesen begreifen, dessen Vernichtung nicht seine einzige Existenz-Rechtfertigung darstellt. Im Verlauf der Handlung kommt unsere zunächst so verbohrte Kriegerin dann weiteren Geheimnissen auf die Spur, die von ihr ein Überdenken einst felsenfester Überzeugungen erfordern.

Der Roman funktioniert auch deshalb so gut, weil es der Verfasserin gelingt, uns ihre Protagonistin - obzwar diese gerade zu Beginn so gar nicht sympathisch rüberkommt - an Herz zu legen.

Ja, die junge Frau ist voller Vorurteile, verblendet, verbohrt und dumm. Nach und nach wird deutlich, dass jeder, der sie trifft, sie für borniert hält und damit durchaus recht hat. Sie ist kompetent, sie hat einen aufoktroyierten inneren Kompass, der sie in die falsche Richtung schickt und dennoch wächst sie uns - langsam zwar, aber immerhin - ans Herz.

Ergänzend verwöhnt uns Tesh mit weiteren Charakteren, die vielschichtig und interessant ausgestaltet sind. Gerade die sich entwickelnde Beziehung zu ihren Familienmitgliedern, aber auch zu dem Alien, zeichnet nicht nur diese Figuren, sondern wird auch genutzt, um uns unsere Protagonistin aus einem anderen, frischen Blickwinkel zu präsentieren. Es geht darum, die Welt, die unsere Erzählerin für gut und richtig hält, zu hinterfragen, zu kritisieren und dann neu einzuordnen. Dies führt dann automatisch dazu, dass aus der überzeugten Kämpferin eine Rebellin wird, die, gerade weil sie von ihren Vorgesetzten verraten wurde, diese umso energischer bekämpft. Die Rebellion gegen ihre Unterdrückung, das Recht auf eine eigene Meinung und die in diese Entwicklung verwobene Inkludierung von Paralleluniversen macht den Plot dann noch interessanter und überraschender.

Überrascht war ich dann davon, wie die Autorin, wie die überlebenden Menschen im Roman mit der Vernichtung der Erde umgehen. Diese wird als Tatsache akzeptiert: große Ressentiments, Wut, Rache, ja Vergeltung auf der einen Seite oder Reue auf der anderen sucht man, abseits von Gaia, vergebens. Die Vernichtung eines ganzen Planeten mit all dem auf diesem heimischen Leben müsste doch eigentlich einen Aufschrei des Unglaubens, der Verbitterung, der Schuld nach sich ziehen - nada. Hier fehlte mir ein wenig etwas.

Ansonsten ost „Die letzte Heldin“ ein wunderbarer Einzelroman mit einer wandelbaren Erzählerin, einer interessanten Grundidee und einem Plot, der mich an die Seiten gefesselt h