Jay Kristoff: A Take of Pain and Hope - Das Reich der Vampire 2 (Buch)

Jay Kristoff
A Take of Pain and Hope
Das Reich der Vampire 2
(Empire of the Damned, 2024)
Übersetzung: Kirsten Borchardt
Tor, 2024, Hardcover, 1004 Seiten, 28,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

„Der Weise lernt mehr von seinen Feinden als der Narr von seinen Freunden, aber selbst der Narr kann etwas lernen, wenn seine Freunde ihm zeigen, dass er einer ist. … Wenn man nie herausgefordert wird, lernt man nichts. Wenn man der Klügste im Raum ist, dann ist man verflucht noch mal im falschen Raum.“ (S. 541)

Jahrzehnte ist es jetzt her, dass etwas die Sonne verdunkelte. Nein, ich spreche nicht vom Einbruch der Nacht, auch ein Sturm oder Sonnenfinsternis sind nicht gemeint. Der Tagestod, etwas Mysteriöses, verdunkelt tagsüber das lebensspendende Licht - und Kreaturen, die sich bislang im Geheimen, allenfalls des Nächtens unter ihren Steinen hervorgetraut haben, traten in unser Leben.

Es gab sie schon immer. Die Rede ist vom Faerievolk, von Hexen, Werwesen und, ja auch von dem übelsten Gezücht: den Vampiren. Sie, die partout nicht tot bleiben wollen, die sich, kaum verblichen, aus ihren Gräbern erheben, machten sich auf, die menschlichen Königreiche zu erobern. Und sie sind nicht aufzuhalten. In letzter Zeit scheinen ihre Kräfte noch einmal massiv zugenommen zu haben. Selbst bestens befestigte Städte werden angegriffen, erobert und geschliffen. Die Bewohner werden als Vieh eingepfercht und als Verpflegung an die Höfe der Blutsauger verbracht.

Einst zog ich als Bruder des Ordens Argentum gegen sie zu Felde. Zusammen mit meinen Brüdern, mit scharfem Stahl und in die Haut tätowierteren Silbersternen, beschützt durch unseren Glauben, errangen wir Erfolge. Selbst ich, ein mit einem vampirischen Vater verfluchter Mischling, errang so manchen Sieg im Scharmützel – ja, war bekannt für meine brutalen Kämpfe und mitleidlosen Siege.

Gestatten, dass ich mich vorstelle? Gabriel de León, Stiefsohn eines Schmieds, letzter der Silberwächter des Ordens Argentum, Chevalier des Reiches, Eidbrecher, Mörder meiner Brüder und inzwischen Gefangener der Vampire.

Dabei kann ich nicht klagen. Meine Gefängniswärter versorgen mich mit fast Allem, was mir wichtig ist. Die Droge, die allein das Tier in mir ruhig stellt - aus dem Blut der Untoten gewonnen - und der Rebensaft, ein Monét; die letzten, verbliebenen Flaschen zum Betäuben meiner inneren Verzweiflung.

Natürlich macht Jean-Francois, Marquis vom Blute Chastain, das nicht ohne Hintergedanken. Ich soll ihm für seine Herrin meine Geschichte erzählen - wie ich zum Silberwächter wurde, wie es zur Blutfehde mit Fabiénes Brut kam, wie ich den Gral fand und warum ich trotz dieses Fundes nicht in der Lage war, das ewige Dunkel zu beenden, die Sonne wieder am Firmament scheinen zu lassen - denn der verheißene heilige Gral van San Michon, ein junges menschliches Mädchen aus einer der Städte, wurde auch gefangengesetzt. Da halfen mir weder die Unterstützung meiner untoten Schwester - ein Vampir-Biest erster Kajüte -, noch die Horden der Dämmertänzer…


Jay Kristoff hat wunderbare Romane geschrieben, aber auch Reihen, die im angloamerikanischen Sprachraum wie auch bei uns von den Lesern nicht so gut angenommen wurden.

Nach seiner ebenfalls bei Tor publizierten „Nevernight Trilogie“, die von Fans und Kritikern gleichermaßen gepriesen wurde, konnte er mit dem Auftakt seine Vampir-Reihe erneut punkten. Der Roman stürmte die Bestsellerlisten, bescherte dem Verfasser jede Menge Publicity. Vorletztes Jahr war er zur Buchmesse auch in Deutschland und konnte sich über volle Säle bei seinen Lesungen freuen.

Nun also liegt der Mittelband der Trilogie vor. Die Ausgangslage ist bekannt: Unser Erzähler, ein unerbittlicher Gegner der Vampire, sitzt gefangen in einem Verlies und erzählt einem der Untoten seine Geschichte. Dabei mangelt es dann wahrlich nicht an Gewaltschilderungen; Kämpfe, Schlachten, Gemetzel und Fluchten wechseln sich in schöner Regelmäßigkeit ab - wir bekommen immer mehr Informationen zur Schreckensherrschaft der Vampire und dem Darben all ihrer Opfer, gleich welchen Geschlechts oder Spezies. Das hat eine selten gelesene Wucht, reißt uns mit, erschreckt uns aber auch durch die Brutalität, die Gewissenslosigkeit und der alltäglichen Gewalt.

Das Bild der Welt im dauernden Zwielicht wird breiter ausgeführt, allerdings geht es sonst inhaltlich nicht wirklich massiv voran. Das liegt natürlich zum einen in der Tatsache begründet, dass der Autor in einem Mittelband nie zu viel auflösen darf, sonst bleibt für das Finale zu wenig übrig, zum anderen, dass wir durch die Erzählform wissen, dass unser Erzähler, zumindest bis zu der Schilderung seiner Erlebnisse, allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz, überlebt hat.

Es gesellen sich einige neue Figuren hinzu, insbesondere die Darstellung des Lebens am Hof der Unsterblichen weiß dabei zu faszinieren. Die Schilderungen unseres gefallenen Streiters sind dabei nicht nur packend, sie wirken auch im höchsten Masse authentisch.

Gabriel verschweigt weder seinen überheblichen Stolz noch seine vielen Fehler, versucht erst gar nicht sich als besser, als integerer zu präsentieren als er ist. Ungeschminkt erfahren wir aus seiner subjektiven Sicht die Geschehnisse, die Fehler, die gemacht, die Sünden die begangen und die Niederlagen, die eingesteckt wurden.

Nicht unerwähnt lassen darf ich dabei die vorzügliche Übertragung von Kirsten Borchardt, die für jeden Erzähler einen typischen, auf diesen zugeschnittenen Tonfall findet, dabei immer im Bild bleibt und vor unserem inneren Auge wunderbar detailreiche Bilder entstehen lässt. Dabei spiegelt sie die raue Welt Elidaens, greift dabei passend auch zu vulgären Ausdrücken. Dann wieder verzückt sie uns mit leisen Tönen, mit eindringlichen Gefühlen und der Darstellung der inneren Verzweiflung der Figuren.

Ebenfalls hinzuweisen ist auf die handwerkliche Ausführung, die Tor dem Buch hat angedeihen lassen. Der Deckel ist reich in Gold geprägt verziert, den Vorsatz wie auch den Nachsatz ziert jeweils eine Karte der Welt, im Inneren warten wieder diverse Illustrationen, die die Handlung auch optisch ergänzen.

So ist dies wieder ein Prachtband geworden - ein Buch, das, wenn man deftige, brutale Schilderungen einer düsteren, morbiden Welt goutiert, einen an die Seiten fesselt, das selbst mit 1000 Seiten nie langweilig wird, das uns mit seiner Wucht, den Figuren und der Welt im ewigen Zwielicht fasziniert. Die Zeit bis zum abschließenden dritten, bislang noch nicht angekündigten Teil, wird lang werden. Well done Mr Kristoff, very well done!