Robert Aickman: Kräfte der Finsternis - Sämtliche Erzählungen 2 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 07. Januar 2024 14:20
Robert Aickman
Kräfte der Finsternis
Sämtliche Erzählungen 2
Übersetzung: Usch Kiausch
Titelbild: Johann Heinrich Füssli
Festa, 2023, Hardcover, 382 Seiten, 36,99 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
Für mich stellen die Auswahl, die Herausgeber und Verlag für die Reihen „Weird Edition“ sowie der „Pulp Legends“ vornehmen, inzwischen die Crème de la Crème der Publikationen von Festa dar. Hier gelingt es ihnen, ein ums andere Mal, zu Unrecht vergessene Autoren und deren Werke zu entdecken, dem deutschsprachigen Leser zumeist erstmals und in gediegenen, werkgetreuen Übersetzungen zugänglich zu machen. Zudem erfreuen sie den bibliophilen Connaisseur mit handwerklich vorbildlicher Qualität.
Vorliegend wartet auf uns der zweite Teil der sämtlichen Erzählungen aus der Feder Robert Aickmans.
Wie Mark Valentine in seinem sehr informativen Vorwort ausführt, gehörte Robert Aickman zu einer aussterbenden Generation. Als Angehöriger einer verarmten, aber renommierten Familie vertrat er immer konservative Meinungen, trauerte einstigem Glanz und Gloria nach und stellte oft Angehörige seiner Klasse ins Zentrum seiner Erzählungen. Männer, die den Verlust von Kultur und Anstand, den sie an dem durch Geburt zugewiesenen Platz im Leben festmachen, monieren, einsame Gestalten, die irgendwie wirken, als seien sie aus der Zeit gefallen, kämen mit der Moderne nicht zurecht.
Gerade in der Auftaktgeschichte, „Wie eiskalt ist dieses Händchen“, dürfte man in dem Protagonisten unschwer ein Abbild unseres Autors erkennen. Gute Familie, gehobene Ausbildung und doch nun, zum wirtschaftlichen Überleben, auf Übersetzungsauftragsarbeiten angewiesen, hat sich der Erzähler von seinen Freunden und Bekannten zurückgezogen. Die Belästigung durch das ständig klingelnde Telefon hat ein Gutes: Er versucht, ebenfalls über das verhasste Medium Telefon, eine alte Freundin zu kontaktieren, allein, es meldet sich eine Fremde, mit der er nach und nach eine vertrauensvolle Telefonbeziehung aufbaut. Sie unterhalten sich über Dichter und Kultur, tauschen sich aus und erkennen im anderen eine verwandte Seele - ohne diesen jemals real von Gesicht zu Gesicht kennengelernt zu haben. Bis unser Erzähler dann halb verhungert im Krankenhaus landet und…
Oder ein Sekretär, der in Westminster für die dezentrale Energieversorgung wirbt - und dabei nicht nur einen pointierten Einblick auf die Politiker von Oberhaus wie Unterhaus erhält, sondern auch eine mysteriöse blonde Frau in einem schwarzen Kleid erblickt, die sich in den Fluren von Westminster aufhält. Sie führt ihn durch lange nicht mehr benutzte Gänge zu einem Zimmer - in dem er unerwartet auf seinen Auftraggeber trifft, der sich gar merkwürdig benimmt…
Dann bekommt ein kleines, etwas verschlafenes Örtchen Besuch von einer Diva, die an Weihnachten noch einmal in einer Schauspielrolle brillieren soll - eine Diva, die scheinbar alterslos ihre Rollen mit Leben füllt, bis…
Ein Zeitungsmogul lädt Vertreter unterschiedlichster Religionsgemeinschaften und Überzeugungen zu einem Symposium in seinem abgelegenen Landhaus. Unerwartet und uneingeladen stößt eine junge Frau zur Gesellschaft und erlebt mit, wie die Teilnehmer in ihren Überzeugungen verschmelzen, so etwas Neues kreiert wird…
Eine Tagung führt ein Ehepaar mittleren Alters nach Birmingham. Da sie privat untergebracht sind, lernen sie einen ehemaligen Major und dessen Frau kennen, deren Sohn seit Jahren vermisst wird. Eine Séance soll Aufklärung bringen. Eine Chance, die zu unerklärlichen Ereignissen führt…
Ein britischer Tourist besucht Hellas. Die Inselwelt der Griechen aber fasziniert ihn nur wenig, bis er vor der Insel, die ihm als Stützpunkt dient, ein kleines, vorgelagertes Eiland erblickt. Von dieser startet ein Segelboot Richtung offenes Meer. Als er die Einheimischen nach der Insel fragt, hält er ausweichende Antworten. Er stiehlt ein kleines Boot, fährt zur Insel und trifft dort auf drei Zauberinnen und zwei Götter…
Der Band wird dann von mehreren Einführungen zu den Werken Aickmans im Anhang abgeschlossen.
Auffällig, dass der Verfasser nie plakativ die übernatürlichen Geschehnisse in den Mittelpunkt seiner Erzählungen stellt. Diese fußen in aller Regel ganz in der zumeist tristen Realität, die der Autor mit messerscharfem Blick porträtiert. Seine Ausführungen zur Ehe in den mittleren Jahren einer Beziehung zum Beispiel zeugen von entsprechenden Erlebnissen, aber auch von Beobachtungen und spiegeln die oft anzutreffende Realität wunderbar pointiert wider.
Ausgangspunkt der Geschichten sind immer gesittete Herren mittleren Alters aus einer guten, letztlich aber an Bedeutung verlorenen Familie. Statt sich dem Herrenleben hinzugeben, müssen sie für ihren Unterhalt einer profanen Tätigkeit nachgehen und begegnen dann, zumeist bei Ausübung der ungeliebten Arbeit, etwas Unerklärlichem. Geister, Heimsuchungen und Erscheinungen werden eher angedeutet, als grell beleuchtet - Vieles belässt der Verfasser der Phantasie seiner Leserinnen und Leser, die die Andeutungen selbst ausschmücken dürfen. Dies wirkt erstaunlich gut, zumal Aickman gerade nicht versucht, die Geschehnisse zu erklären.
So ist auch dies ein Band, der dem Freund der unheimlichen Literatur viel Freude bereiten wird. Eine Zusammenstellung, die es verdient in Ruhe goutiert zu werden, die dann peu à peu ihre Wirkung entfaltet.