Ned Beauman: Der Gemeine Lumpfisch (Buch)

Ned Beauman
Der Gemeine Lumpfisch
(Venomous Lumpsucker, 2022)
Übersetzung: Marion Hertle
Liebeskind, 2023, Hardcover, 380 Seiten, 24,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Willkommen in einer Welt der nahen Zukunft. Einer Welt, in der die Umweltverschmutzung nicht besiegt wurde, in der der Klimawandel Realität ist, in der das Artensterben munter und politisch sanktioniert weitergeht - schließlich gibt es entsprechende „Auslöschungszertifikate“ (d.h. von einem Unternehmen von den Regierungen zu erwerbende Zertifikate, wenn es im Zuge seiner Geschäftstätigkeit eine Tierart bewusst auslöscht).

In dieser Welt begegnen wir zunächst zwei Erzählern. Da ist die Wissenschaftlerin Karin Resaint, die im Auftrag der Brahmasamudram Mining Company die Intelligenz einer bedrohten Tierart - eben jener gemeine Lumpfisch - untersucht, der von den am Meeresgrund des Baltischen Meeres die Ferromangan-Knollen aufammelnden Robotern bedroht wird. Kommt sie zu der Auffassung, dass der Fisch eine bestimmte Intelligenzstufe überschreitet, wird nicht etwa der Abbau und damit der drohende Genozid gestoppt - es wird nur massiv teurer.

Mark Halyard ist Umweltverträglichkeitskoordinator eben jener Firma und liebt nichts mehr, als seinen Gaumen zu verwöhnen - mit edlen, das heißt sündhaft teuren Delikatessen. Dass dieses Hobby eigentlich sein Salär sprengt, bringt ihn auf die Idee, an Leerverkäufen der Auslöschungszertifikaten einen Reibach zu machen - schließlich weiß niemand früher als der Chef von Karin Resaint, ob eine Spezies als intelligent eingestuft wird oder nicht. Dass er beim Lumpenfisch darauf gewettet hat, dass dieser als nicht intelligent und damit billig eingestuft wird, bringt ihn nun in die Bredouille - zumal das Backup des Genoms in den Datenbanken durch einen Hackerangriff gelöscht wird…

 

Was ist das für ein recht kurzer, pointierter Roman? Ein Buch, das in einer nahen Zukunft angesiedelt ist, das uns eine wahrlich leider nicht unglaubwürdige Dystopie anbietet?

Angefüllt mit faszinierenden, erschreckenden Ideen bleibt uns Lesern das Lachen oftmals im Halse stecken, blättern wir aber gleichzeitig gebannt und interessiert die Seiten um, damit wir schauen können, welche Einfälle uns im weiteren Verlauf des Romans erwarten. Das ist nicht nur höchst aktuell - das ist unterhaltsam, das sprüht vor Witz und Intelligenz und wirkt zudem noch erschreckend real.

Dabei ist das gebotene Szenario ebenso denkbar, wie erschreckend. Schon heute werden CO2-Lizenzen gehandelt, mit denen Firmen den Ausstoß des entsprechenden Gases sanktionieren können - die Umwelt bleibt einmal mehr, der merkantilen Gewinnmaximierung untergeordnet, auf der Strecke. Kann, wird es mit den Arten, die infolge des Raubbaus an den Bodenschätzen auf der Strecke bleiben, wohl anders werden?

Dazu gesellen sich geniale Ideen - etwa die von Spindriftern, die künstliche Stürme über den Meeren auslösen, damit winzige Wassertropfen in die Atmosphäre schleudern und dadurch Wolken erzeugen, die das Sonnenlicht reflektieren - ergo die Erderwärmung reduzieren sollen. Die Nebeneffekte, die in den Simulationen naturgemäß nicht auftraten, verhindern den gewünschten Erfolg. Auch die Möglichkeit, dass sich Vermögende auf eine rechtlose, künstliche Insel zurückziehen um dort ungestört ihren Passionen folgen zu können, dürfte so unwahrscheinlich nicht sein.

Das alles fügt sich zu einem Roman, der unterhält, der verblüfft, der auch verstört ob der so glaubhaften Zukunftsaussichten, die er uns konsequent durchdacht präsentiert.