Heather Fawcett: Emily Wildes Enzyklopädie der Feen (Buch)

Heather Fawcett
Emily Wildes Enzyklopädie der Feen
(Eiliy Wilde’s Encyclopedia of Fairies, 2023)
Übersetzung: Eva Kemper
Titelbild: Vera Drmanovski
Tor, 2023, Hardcover, 412 Seiten, 22,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Emily Wilde ist verschrien - nicht nur bei ihrer Familie -, ihr Bruder wird immer wieder einmal dazu missbraucht, Bestechungsgeschenke für ihre Forschungsobjekte zu besorgen und auch bei ihren Studenten, von dem Kollegium an der Cambridge University mal gar nicht zu sprechen. Sie alle sind sich einig: zum einen, dass eine Frau gefälligst nach Hause an den heimischen Herd gehört, zum anderen, dass Emily zwar eine durchaus kundige Forscherin ist, dass die Feldforschungen, für die sie alles und jedes stehen lässt, aber absolut nichts für junge Frauen sind. Schrullig ist das Adjektiv, das auf sie, zumindest so die allgemeine Anschauung, wohl am Besten passt.

Dass ihr fast gleichaltriger Kollege Wendell Bambleby nicht nur mit einer Professur und offiziellen Festanstellung geehrt, sondern auch bei den jährlichen Vorträgen in Paris mit Wissen glänzen kann, das sie recherchiert und zusammengetragen hat, schlägt dem Fass dann den Boden aus.

Emily arbeitet an einer umfassenden, was sage ich, revolutionären Enzyklopädie über das kleine Volk. Ihre Feldstudien führen sie weit in den unwirtlichen Norden. Auf Hrafnsvik, einer einsamen Insel abseits jeglicher Zivilisation, will sie sich mit einigen Vertretern der Feen anfreunden, vielleicht gar dem großgewachsenen, gemeinhin als arrogant und gefährlich bekanntem Stamm auf die Spur kommen.

Kaum zusammen mit ihrem alten, riesigen Hund angekommen - die ersten Feinde unter den Einheimischen hat sie sich gewohnt mühelos bereits gemacht - taucht ihre Nemesis, ihr akademische Rivale Bambleby unerwartet an ihrer Hüttentür auf. Ihr fiel bereits vorher in Cambridge auf, dass dieser jegliche Berührung mit Eisen vermeidet - doch ein Feenabkömmling ganz in der Menschenwelt, das kann doch nicht sein, oder?

Dann tritt diese Frage zunächst in den Hintergrund, als sich die Tür zum Reich der Verborgenen öffnet - und sie die Herrscher der Feen kennen und fürchten lernt…


Hoppla, was ist dies für ein kleines, feines Hardcover, das uns Tor hier anbietet? In der Form eines fiktiven Tagebuchs verfasst, erwarten uns durchaus intime Gedanken unserer Stipendiatin. Allerdings bemüht sie sich erfolgreich darum, uns ihre Entdeckungen, ihre Erlebnisse in einer der akademischen Forschung angemessenen Sprache zu offerieren. Statt also in Gefühlen zu schwelgen, präsentiert sie uns ihre Abhandlungen in einem etwas trockenen, distanzierten Stil. Die wissenschaftlichen Fußnoten, die historische wie völkerkundliche Informationen liefern, verleihen dem Text dann innere Überzeugungskraft.

Anders als ihre Kollegin Marie Brennan in ihren Romanen um Lady Trent und deren Forschungen über Drachen (dt. Cross Cult) achtet Emily Wilde in ihren Ausführungen weiterhin auf wissenschaftliche Distanz, so dass wir die Figuren aus einer gewissen Entfernung kennenlernen, nicht so einfach mit diesen warm werden.

Die Zeichnung des kleinen Volks und dessen Eigenheiten orientiert sich am bekannten Sagenschatz, baut diesen ab und an ein klein wenig aus.

Müsste ich das Büchlein charakterisieren würde ich das Adjektiv nett benutzen. Die Beschreibungen entführen uns in eine andere, nicht so technisierte Zeit, in eine Welt, in der die Welten der Feen und der Menschen sich noch berühren, in der es (Natur-)Zauber und Magie gibt und die uns durchaus interessante Figuren vorstellt. Dass wir ob der ungewohnten Präsentation in Form eines akademischen Forschungstagebuchs etwas brauchen, um mit diesen warm zu werden, dass Emily keine wirklich griffige, sympathische Erzählerin ist, sei erwähnt - dafür bürgt sie für ungewöhnlich Einsichten und Entdeckungen.