Kate Kowalski: Die geflohene Geschichte (Buch)

Kate Kowalski
Die geflohene Geschichte
Heyne, 2023, Paperback, 412 Seiten, 15,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Kapitolo, die Stadt der Bücher, ist genau das: Eine Stadt, ein Ort, an dem sich Autorinnen und Autoren treffen, niederlassen und ihrer Muse frönen. Das Besondere an Kapitolo ist, dass sich nicht nur die Menschen hinter der Tastatur hier treffen, immer wieder gelangen auch ihre Figuren aus den Büchern in die Realität.

Nicht umsonst gibt es zwei ganze Polizeieinheiten, die für nichts anderes da sind, als Verbrechen von Romanfiguren aufzuklären, beziehungsweise Taten an in die Realität gewechselte Protagonisten zu verfolgen. Während ersteres Dezernat mit über 100 Beamten gut ausgestattet ist, fristet die Abteilung, die Verbrechen an den Figuren untersucht, ein Nischendasein mit einigen ganz wenigen, überlasteten und abgeschobenen Ermittlern.

Damit noch nicht genug, hat die Obrigkeit bestimmt, dass ein jeder Autor, egal welchen Geschlechts, ihre oder seine Fingerabdrücke registrieren lassen muss. Die in die Realität gewechselten Figuren besitzen nämlich dieselben Fingerabdrücke nur spiegelverdreht - die Autoren haften, im wahrsten Sinne des Wortes, für die Taten ihre Schöpfungen.

Kate Kowalski ging das bislang nicht viel an. Sie fristete als Vielschreiberin ihr karges Dasein, veröffentlichte unter drei Pseudonymen ihre Unterhaltungswerke, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Eines Morgens wird sie von der Sonderkommission aufs Revier gebracht. Eine ihrer Figuren wird mit dem Tatort eines Mordes in Verbindung gebracht. Dabei schreibt sie schon extra vorsichtig. Sie hat zwar eine Lizenz für Kriminalromane, passt aber immer höllisch auf, dass sie nur ja keinen Psychopathen oder Serienkiller auf ihre Opfer loslässt.

Kann es sein, dass sie wirklich einen Mörder erschaffen hat, oder was steckt hinter der Tat?

Da hilft nur: Selbst ist die Frau - und Kowalski macht sich daran, das Verbrechen aufzuklären.


Figuren, die aus Büchern in die Realität überwechseln - gab es das nicht schon einmal? Ja, Cornelia Funkes „Tintenherz“ kommt mir hier ebenso in den Sinn, wie Jaspar Ffordes Eleander-Morning-Reihe. Beides sicherlich ganz eigenständige Schöpfungen, die außer der Tatsache, dass als Aufhänger eben jener Übertritt aus dem Buch in die Realität als Idee zugrundeliegt, nichts mit dem vorliegenden Werk zu tun haben.

Kowalski geht ganz bewusst eigene Wege und verpackt das Ganze dann noch in ein autobiographisches Gewandt. Laut Waschzettel lebt sie in Kapitolo, tritt selbst als Betroffene in die Handlung ein - ein netter Gimmick allemal.

Darübehinaus wartet auf die Leser ein waschechter Kriminalplot. Es geht um die Aufklärung eines Verbrechens, um die Suche nach Motiv und Täter, das Anrennen gegen falsche Verdächtigungen und die Bürokratie. Dies nutzt die Verfasserin dazu, ihre Gedanken zu Schuld und Sühne, zu Verantwortung und das Rechtssystem unauffällig in den Plot miteinfließen zu lassen.

Allerdings wirkten die Dialoge etwas hölzern, bleiben die Figuren flach, ja blass. Hier hätte ich mir ein wenig mehr Tiefe gewünscht, die Gedanken und Gefühle wirkten nicht glaubwürdig auf mich.

Gut gelungen boten sich dagegen die Suche nach der Auflösung des Verbrechens und die Darstellung der Stadt mit ihrem besonderen Rechtssystem an.

So bleibt als Fazit, dass einen ein durchaus unterhaltsamer Roman erwartet, der eine faszinierende Kulisse präsentiert, deren Figuren und Dialoge aber noch Verbesserungspotential aufgewiesen hätten.