John Langan: Der Angler (Buch)

John Langan
Der Angler
(The Fisherman, 2016)
Übersetzung: Michael Weh
Titelbild: Gustave Doré
Wandler, 2022, Paperback, 404 Seiten, 17,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

„Nennen Sie mich nicht Abraham, nennen Sie mich Abe.“ So stellt eben jener Abe sich uns vor. Abe hat es wahrlich nicht einfach im Leben: Kaum hat er seine wesentlich jüngere Liebe seines Lebens gefunden, erkrankt diese an Brustkrebs. Drei Monate gibt er sich der Flasche hin, bekommt aber von IBM (damals noch ein Arbeitgeber, der sich ums eine Angestellten kümmert) bezahlten Trauer-Urlaub.

Abe findet ein neues Hobby. Ob ihn, wie einige Verwandte meinen, seine tote Frau zum Angeln gebracht hat, mag dahinstehen, er findet an den Ufern der Flüsse und Seen in New Jersey die so dringend benötigte Ruhe und Erholung. Später findet er in einem Kollegen eine verwandte Seele. Dan Dresher verlor seine Familie bei einem Verkehrsunfall. Beide Witwer gehen, trotz des Altersunterschieds, gemeinsam Angeln, erzählen sich Geschichten und kommen zu sich selbst.

Bis Abe eines Tages in die Catskill Mountains zum sogenannten Dutchman’s Creek angeln gehen will. Früher war der Fluss als Deutschman’s Creek bekannt und der Wirt des Hermann’s Diners weiß eine wahrlich angsteinflößende Geschichte zu erzählen.

Fast 90 Jahre ist es wohl her, dass der See damals aufgestaut wurde. Arbeiter aus der Bronx, Immigranten aus Europa, zogen des Verdienstes wegen her, um die riesige Staumauer und eine Einfassung zu bauen. Nicht weniger als acht Dörfer mussten umgesiedelt werden.

Den Arbeitern begegneten dabei nicht nur die Gefahren des Baus; als eine Tote sich wieder aus dem Grab erhebt, kommen sie einem Wissenden, dem „Angler“. auf die Spur, der ein uraltes Wesen, den biblischen Behemot, zu fesseln versucht - die Spur führt in eine Dimension, in der sie auch auf geliebte Verstorbene stoßen…


Was ist das für ein Roman, der inzwischen bereits in der zweiten Auflage vom Wandler Verlag vorgelegt wird? Ein Band, der eigentlich zwei Plots in sich vereint.

Da ist zunächst die Handlung um die beiden Männer, die jeweils ihre Frau verloren haben. Hier geht John Langan auf ein wichtiges, ein viel zu oft tabuisiertes Thema ein. Es geht um den Tod und wie wir mit diesem, der jeden von uns eines Tages holen wird, umgehen. In aller Regel wird das Ende des erdlichen Daseins ausgeklammert, wird es weit weggeschoben, ignoriert. Man mag sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen, versucht möglich nicht daran zu denken. Wenn dann wie in den beiden im Buch beschriebenen Fällen der geliebte Partner stirbt, kann man dem Thema nicht länger ausweichen. Hier drängen sich dem Leser wie den Protagonisten ursächliche Ängste auf. Was wäre das Schlimmste, was uns passieren könnte? Alleine zurückzubleiben, einen Partner, gar die eigenen Kinder zu verlieren - das ist und bleibt das Schrecklichste, was einem passieren kann. Wie geht es mit jemandem weiter, dem dies passiert, dem alles, was ihm wichtig war, was er geliebt hat genommen wird? Wird, kann er loslassen, kann er sein Leben weiterleben, die traumatischen Ereignisse verarbeiten, wie kann er neuen Lebensmut, neue Lebenskraft finden? Antworten darauf gibt uns Langan, verpackt in eines atmosphärisch dichte Horror-Story, in diesem Band.

Das ist zunächst, aber nicht nur, eine sehr gelungene Darstellung unserer beiden Witwer, die natürlich vom Verlust geprägt, langsam wieder ins Leben zurückfinden. Wir können uns sehr gut in die beiden Charaktere hineinversetzen, mitfühlen und verstehen, wie es in ihren aussieht. Hier hat Langan uns einen wunderbar unaufgeregten, intimen und real wirkenden Einblick in die Gefühlswelt von (hauptsächlich) Abe gewährt.

Verpackt hat Langan in sein Porträt eine Geschichte in der Geschichte. Und hier kommt nun das Übernatürliche in den Plot. Zunächst ruht auch hier die Handlung ganz in der Realität. Wir begegnen einem deutschen Immigranten - einem früher gefeierten Philosophie-Professor -, der während der Arbeit als Steinmetz am Damm mit etwas Unerklärlichem, etwas Bösem konfrontiert wird. Dass er - natürlich für die Handlung unabdingbar - Erfahrung auf dem Gebiet hat, dass er weiß, was er hier zu Gesicht bekommt und wie man dagegen vorgehen kann, treibt den Plot voran.

Der sich in der Folge abzeichnende „kosmische Horror“ präsentiert sich dabei so ganz anders, als bei Lovecraft. Das Wesen, das lange vor der Schöpfung bereits existierte, ist so ganz anders, als einer der Großen Alten. Es ist gigantisch, dabei so fremd, so ohne Beziehung zur menschlichen Realität, dass es gottgleich, unergründlich, unbegreiflich wirkt. Dazu gesellen sich dann die geliebten Verstorbenen, die allerdings sehr wenig mit dem einst Geliebten zu tun haben.

Die Versuchung zu versuchen, diese zurückzuholen bestimmt dann das Finale des Romans. Kann man, soll man dem verständlichen Wunsch nachgeben, die Geliebten zurückzuholen, auch wenn es sich nicht um dieselben Personen handelt? Eine Frage, die sich Philosophen (theoretisch) seit Jahrhunderten stellt.

So ist dies ein Buch, das zwei Schwerpunkte setzt. Zum einen das übernatürliche Grauen des unbegreiflich Fremden, zum anderen ein ergreifendes Bild der Trauer um geliebte Menschen, die von uns gegangen sind.