Janika Rehak & Yvonne Tunnat (Hrsg.): Der Tod kommt auf Zahnrädern - Steampunk-Anthologie (Buch)

Janika Rehak & Yvonne Tunnat (Hrsg.)
Der Tod kommt auf Zahnrädern - Steampunk-Anthologie
Titelbild: Christian Günther
Amrun, 2022, Paperback, 318 Seiten, 13,90 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Steampunk - die einen lieben es, die anderen machen einen weiten Bogen um entsprechendes Lesefutter. Warum das Subgenre in deutschsprachigen Landen nicht so recht aus den Pusche kommt, wird für immer ein Mysterium bleiben. Bedauerliche Tatsache ist, dass sich die großen Verlage schon lange, auch nach zum Teil massiven Verlusten, die sie mit teuer eingekauften Lizenzen einfahren mussten, von entsprechenden Büchern verabschiedet haben. Dabei ist die Mischung aus einem Setting des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dampf- und aetherbetriebenen Maschinen und einer entsprechenden Gesellschaft, die mit und dank dieser ihr Leben besser, leichter und interessanter führt, doch eigentlich wirklich faszinierend.

Gut, dass es hier die kleinen Verlage gibt. Hier finden Autorinnen und Autoren eine verlegerische Heimat, hier bekommen die Fans des Dampfpunks ihr neues Lesefutter kredenzt.

Nun ist das natürlich schon ein verlegerisches Wagnis, ein entsprechendes Buch aufzulegen. Wird es genügend Aufmerksamkeit und Interesse wecken, kann man eine zumindest kostendeckende Auflage auch verkaufen?

Gleich noch einmal problematischer wird die entsprechende Kalkulation dann, wenn es sich nicht um einen Roman, sondern um eine Anthologie handelt. Auch hier - siehe oben - sind die Publikumsverlage lang schon außen vor, wird die Fahne einzig von den Kleinverlagen hoch gehalten.

Der Amrun Verlag ging das doppelte Wagnis mit vorliegendem Buch ein.

Die beiden Herausgeberinnen haben gerufen - und legen uns nun fünfzehn Beispiele dafür vor, wie abwechslungsreich und interessant entsprechende Geschichten sein können.


Den Auftakt macht Angelika Brox die uns in „My Happiness“ von einem berühmten Künstler berichtet, der ausgebrannt ist. Die Sucht nach Erfolg lässt ihm nur eine Wahl - er flieht in eine andere Welt, in der Menschen noch Muße haben…
Kurz, knackig und einfühlsam, so kann ich die Wirkung auf mich beschrieben.

Lina Thiede erzählt uns in „Damenopfer“ von einem ganz besonderen Schachspiel - auf der Bühne Londons duellieren sich die Königinnen in weiß und schwarz um die Zukunft des Reiches…
Eine etwas ungewöhnliche Ausgangslage, in der ich mich zunächst nicht recht zurechtfand, dann aber den Reiz des Bauernwechsels erkannte.

Der kundige Herausgeber und Autor Michael Schmidt steuert mit „Braunkreuz“ eine Geschichte bei, die von verlustreichen Anschlägen einer Rebellentruppe auf den Produktionsort einer chemischen Waffe berichtet. W
Wie wir dies von Schmidt kennen, präsentiert er uns einen gewalttätigen Plot, der viel Tempo mit Dramatik vereint.

Tessa Maelle nimmt sich in „Tempus Fugit“ eines sehr ernsten Themas an - den Missbrauch an Frauen. Auch in der Dampf-Ära gibt es sie, Frauen, die von ihren Männern geschlagen, missbraucht werden. Doch es gibt eine Vereinigung, die über diese oftmals hilflosen Frauen wacht - auch wenn sie dies ihre eigene Gesundheit kostet, jetzt wird endlich etwas unternommen.
Eine höchst aktuelle, ergreifende und gleichzeitig interessant aufgezogene Geschichte, die mich trotz der beschriebenen Selbstjustiz berührt hat.

Carolin Gmyreks „Die Jagd nach Dampf“ schildert eine bahnbrechende Entdeckung - der Tod droht nicht länger! Aufgrund technischer Errungenschaften ist der Körper eines schwachen Jungen unsterblich geworden; ein Los, das vielleicht gar nicht so erstrebenswert ist?
Auch hier hat mich das Thema, das Mitgefühl mit dem Schicksal des Jungen, innerlich berührt.

Berlin ist der Schauplatz von Aiki Miras „Die Zukunft“. Wir begegnen einer Frau, einer Alkoholikerin, die sich ihren Platz als Fotograph in einer Welt, in der nur Männer erfolgreich sein dürfen, verkleidet gesichert hat. Sie selbst, eine Frau in Männerkleidern, fühlt sich zu ihrer Gehilfin hingezogen - ahnt aber, dass ihre Zuneigung nicht erwidert wird. Als sie eines Tages im Haus des Mäzens der jungen Frau eine neue Kamera ausprobiert, mit der der Tod, das Skelett eines lebenden Menschen sichtbar gemacht wird, hat dies weitereichende Folgen.
Auch dies wieder eine Geschichte, die die unschönen Seiten des Daseins nicht ausblendet, die Probleme intensiv und einfühlsam thematisiert.

Galax Acheronians „Von Käfern, Schaben und anderem Ungeziefer“ berichtet uns von zwei Jungen, die an Bord eines Zeppelins immer wieder die reichen Reisenden um einen Teil ihrer Wertsachen erleichtern. Eines Tages aber klauen sie einen Ring, der als wichtiges Beweismittel gegen einen skrupellosen Lord weit mehr wert ist, als sein Gewicht in Gold.
Unterhaltsam, spannend und mit einer zweiten Ebene, in der die Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft thematisiert wird versehen, allerdings hätte der Text sprachlich ein sorgfältiges Lektorat vertragen können.

Janika Rehak erzählt in „Mechanical Circus“ vom ergreifenden Schicksal eines kleinen Jungen. Zusammen mit seiner Mutter zieht er sich immer gerne in die Welt seines mechanischen Spielzeug-Zirkus zurück; als die Mutter stirbt, nimmt ihm der despotische Vater den Zirkus weg und schickt ihn auf ein Elite-Internat - mit dramatischen Folgen…
Eine Geschichte, die leise anfängt, die vom Leid eines empfindsamen Menschen berichtet und dessen Versuch, ein klein wenig Glück und Halt zu finden.

Thorsten Küper erzählt in „Hayes Tochter und Sohne“ von einer Zugfabrik, die sich zur Fertigung der in der ganzen Welt bekannten und geschätzten Maschinen indigener Kinder bedient - Kinder, die auf eine ganz besonders perfide Art beeinflusst wurden. Ein Vater ist in den Produktionshallen auf der Suche nach seinem entführten Kind…
Ein ungewöhnlicher Ansatz, Magie verbindet sich mit Dampf, indigene Opfer mit skrupellosen Ausbeutern.

Eine allmächtige Regierung schaltet in Uwe Posts „Zero el Anarcho“ ihren medienwirksamsten Kritiker, einen Steam-Influencer aus - der Vater ruft zum Widerstand und zur Reinkarnation auf.
Eine Geschichte, die mich nicht wirklich fesseln konnte, zwar lebt diese vom Gegensatz des extrovertierten Kritikers auf dem Fernsehschirm und seinem Vater, der zunächst aus der Realität flüchtet und der damit verbundenen Satire des Autors, doch irgendwie fand ich keinen wirklichen Zugang.

Frederic Brakes „Lautes Sterben“ erzählt von den Ermittlungen eines gar ungewöhnlichen Detektivpaares in England. Opfer werden gefunden, deren Körper keinen heilen Knochen mehr aufweisen. Ein Vampir und ein alter Mann machen sich auf, die Schuldigen im Auftrag der Sidhe-Königin zu suchen.
Für mich einer der packendsten, spannendsten Beiträge - gerne hätte ich mehr von dem ungewöhnlichen Ermittlerpaar erfahren, steht der alte Mann doch vor der Entscheidung entweder den Ring zu nehmen und ein Vampir zu werden, oder zu sterben

Jol Rosenbergs „Sehnsucht“ stellt uns MIA vor, ein Automaton. In der Anstalt wurden ihr mechanische Teile eingebaut, ihr Gedächtnis genommen. Sie flieht, um sich auf die Suche nach ihren menschlichen Wurzeln zu machen - und findet dabei etwas viel Wichtigeres: ihr Mitgefühl und Menschlichkeit.
Eine zunächst leise, aber dann ergreifende Geschichte darüber, was es ausmacht ein Mensch zu sein.

In Yvonne Tunnats „Morsche Haut“ greift die Autorin ein Thema auf, das in den letzten Jahren sehr en vogue war: die Reanimation Toter, ergo Zombies, die nach ihrem Ableben zumindest eine Zeitlang wieder unter uns wandeln. Allerdings geht die Verfasserin das Thema viel subtiler an, als gewohnt. Sie stellt uns ein reanimiertes Kind vor, das die Krux der Behandlung verdeutlicht - die Reanimation schafft beileibe keine Rückkehr des Verblichenen, das Gehirn ist nicht mehr so leistungsfähig, das innere Wesen zieht sich immer weiter zurück…
Auch hier wird leise und hintergründig das Thema Tod und Abschied auf ganz ungewöhnliche Art und Weise angegangen.

Oliver Bayers „Die Nacht des toten Gärtners“ behandelt einmal mehr das Thema körperliche Unsterblichkeit und deren Folgen. Ein Doktor hat ein entsprechendes Serum entwickelt - doch soll und kann er dieses publik machen? Als ihm eine Diebin auf die Schliche kommt, steckt er in der Bredouille.
Unterhaltsam, tempo- und abwechslungsreich bietet sich die Story an.

Uwe Hermanns „Wir von der kaiserlichen Reinigungskolonne“ berichtet uns von einer despotischen Herrschaft, die sich, nachdem sie die Ressourcen ausgebeutet hat, aus der sterbenden Stadt davonmacht - die einfachen Menschen, allen voran die Reinigungskolonnen, bleiben zurück - die Bombe, die die Stadt und deren arme Bewohner vernichten soll, tickt.
Auch hier: durchaus interessant und kurzweilig zu lesen.


Alles in allem fiel mir auf, dass die Geschichten sich viel mit dem titelgebenden Tod beschäftigen. Oftmals wird die Dampfbühne nur als Vehikel genutzt, um sich an das schwierige, zu oft verdrängte Thema heranzutasten. Dabei bieten sich einige der Geschichten als recht melancholisch an, sucht man das Dampf-Abenteuer meist vergebens. Das meine ich jetzt beileibe nicht negativ - gerade der Umgang mit dem Thema Tod sollte viel häufiger angegangen werden, als es üblich ist. Als Käufer der Anthologie sollte man aber wissen, dass nicht die typischen Dampf-Plots auf einen warten, dass die Verfasserinnen und Verfasser sich eher mit tiefgründigeren Themen auseinandersetzen - und dies durchaus auf interessante, einfühlsame und ergreifende Art und Weise.