Robert Kraft: Das Gauklerschiff - Die Irrfahrten der Argonauten 2 (Buch)

Robert Kraft

Das Gauklerschiff - Die Irrfahrten der Argonauten 2

Kapitel 38-77

Titelbild: Georg Hertting

Verlag Dieter von Reeken, 2022, Hardcover, 592 Seiten, 30,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Robert Kraft ist ein deutschsprachiges Phänomen. Ab 1895 hat er, nach seinem abenteuerlichen Seefahrerleben, seiner Imagination freien Lauf gelassen und wunderbar packende Romane verfasst.

Diese erschienen zumeist als so genannte Kolportage-Romane. Ursprünglich aus dem 15. Jahrhundert stammend, wurden Volksbücher und Erbauungsliteratur (Ritter- und Schauer-Romane) in den Häusern und auf Jahrmärkten angeboten. Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts schwappte die Welle aus Frankreich kommend in den deutschsprachigen Raum. Kinder wie Erwachsene wollten unterhalten werden, suchten packende Abenteuer aus fernen, unerreichbaren Gebieten.

Die Fortsetzungsromane, die auf dickem Papier in Lieferungen von 2 Bogen à 32 Seiten gedruckt von reisenden Vertretern zu einem erschwinglichen Preis der Kundschaft angeboten wurde, entwickelten sich zum Renner. Die Leserinnen und Leser erwarteten die Fortsetzungen gespannt, wollte man doch wissen, wie die abrupt abbrechende Handlung weitergehen würde. Dies hatte zur Folge, dass Verfasser, allen voran unser Robert Kraft, sich für jedes Heft einen dramatischen Cliffhanger ausdenken durften. War ein Roman letztlich abgeschlossen, konnte der Käufer sich die Hefte dann zu einem richtigen Buch binden lassen. Die schlechte Papierqualität und die Kriege sorgten dafür, dass von diesen Büchern nur sehr wenige erhalten geblieben sind.

Dankenswerterweise hat sich Dieter von Reeken des Umstands angenommen und publiziert in seinem Verlag neu gesetzte Ausgaben der Romane Krafts mit sämtlichen Original-Illustrationen.


Georg Steevenbrock, seines Zeichens Waffenmeister der Argonauten an Bord der „Argos“, eines Schiffes, das eigentlich für die britische Marine gebaut worden war, berichtet uns von den Erlebnissen des Schiffs und seiner Crew. Ein Segelschiff mit Motorunterstützung, groß genug für eine Besatzung von 400 Mann, das seit einiger Zeit auch die Heimat von einer 32 Bengels umfassenden Rasselbande von zumeist deutschen Jungen ist. Die Pratonin Helene Neubert, Millionärin und auf allen Weltmeeren zuhause, geht mit ihrer Mannschaft auf große Fahrt.

Zu Beginn des zweiten Bandes finden wir uns im indischen Archipel wieder. Die Niederländer haben hier Fuß gefasst, doch die Maharadschas wissen ihre Pfründe zu verteidigen.

Kaum am Hof des örtlichen Herrschers angekommen müssen sie miterleben, wie die Amazonen im Dienst des weibischen, verweichlichten Herrschers rebellieren. Alle Männer, vom Greis bis zum Baby, werden ermordet; die Damen möchte die Crew der „Argos“ zur Zucht von Nachwuchs verpflichten.

Kurz darauf stößt man an einem Sandriff auf Muscheln, in denen unsere Abenteurer reichhaltige Perlen finden. Die Fahrt geht weiter - rund um den Globus. Nach Brasilien geht es, Helene Neubert wird zur Freifrau des Britischen Königreichs ernannt, man sucht und findet Eldorado, die legendäre Goldstadt. Als Helene Neuberts Bruder im Gefängnis in New York stirbt, gelangen endlich die Koordinaten eines gesunkenen Schiffes mit einem Goldschatz in die Hände der „Argos“. Dort angekommen, ist der Schatz längst verschwunden - finstere Betrüger unter dem Kommando Kapitän Satins haben ihn sich geangelt. Weiter geht die Fahrt - die Besatzung stößt auf Komantschen und Apachen, nimmt deutsche Turner an Bord, begegnet dem Mysterium eines magischen Spiegels und verfolgt einen riesenhaften Wal, nur um schlussendlich zu sinken - die Crew und ihre Patronin bleiben zudem noch ohne jegliches Vermögen zurück…


Wie bereits im ersten Band nutzt Robert Kraft die Gunst der Stunde, um seinen Leserinnen und Lesern Bildung zu vermitteln. Da werden fremde Völker und deren vermeintlichen Bräuche näher gebracht, erfahren wir über die Flora, Fauna und Geographie der Erde. So Manches, was damals angenommen und vermittelt wurde, ist zwischenzeitlich als unwahr widerlegt. Dabei kommt auch der Zeitgeist immer wieder durch - etwas, das man akzeptieren muss, sonst wäre der Roman nicht authentisch.

Das Besondere daran ist, dass trotz dieser falschen, so manches Mal rassistischen Darstellungen auch der heutige Leser nach wie vor von den Abenteuern fasziniert ist. Kraft fabuliert derartig farbenprächtig und immer wieder voller Elan, dass wir ihm nur zu gerne in die beschriebenen Fährnisse und Abenteuer folgen.

Und Abenteuer gibt es satt: finstere Schurken, gefährliche Natur-Ereignisse, verschollene Schätze oder wohl gehütete Geheimnisse - Kraft fährt auf, was erprobt, beliebt und erfolgreich ist. Ein ums andere Mal fesselt er damit seine Leserinnen und Leser - die Kolportage-Romane wurden beileibe nicht nur vom männlichen Publikum goutiert, auch die holde Damenwelt fieberte den beschriebenen Aufregungen ungeduldig entgegen - an die Seiten.

So bietet auch diese Neuveröffentlichung - Band 2 von 4 - wieder ein willkommenes Wiedersehen mit überholten Annahmen und Überzeugungen, die aber derart fesselnd und abenteuerlustig verpackt sind, dass sie heute, mehr als einhundert Jahre nach der Erstveröffentlichung, noch zu faszinieren wissen.