Laura Purcell: Der Schattenriss (Buch)

Laura Purcell
Der Schattenriss
(The Shape of Darkness, 2021)
Übersetzung: Eva Brunner
Festa, 2022, Hardcover, 446 Seiten, 22,99 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

London zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Uns begegnet Agnes, die nachdem sie vor drei Jahren eine schwere Lungenentzündung überstanden hat, ihre Mutter und den verwaisten Neffen durchbringen muss. Ihre Profession, in der sie wirklich gut ist, sind Scherenschnitte, Portraits von Menschen, die sie versiert und künstlerisch ansprechend zu schneiden weiß.

In letzter Zeit aber blieben ihr die Kunden weg. Die Fotographie hält Einzug, nicht länger sind Portraits, gleich ob gemalt oder geschnitten, gefragt. Stattdessen lässt man sich zur Erinnerung für die Liebsten abbilden.

Es beginnt damit, dass Agnes letzter Kunde ermordet wird bevor sie den fertigen Scherenschnitt ausliefern und kassieren kann. Dem Opfer wird der Hals durchgeschnitten, zusätzlich das Gesicht mit einem stumpfen Gegenstand eingeschlagen. Damit aber hört es nicht auf - weitere ihrer wenigen Kunden werden ermordet; wie nur soll sie das monetäre Überleben ihrer Liebsten gewährleisten?

Zur selben Zeit lebt auch die elfjährige Pearl in Bath. Um ihre ältere Schwester und den schwerkranken Vater zu ernähren nutzt sie ihre Gabe, Botschaften aus dem Jenseits zu überbringen. Als Medium verdient sie eigentlich ganz ordentlich.

Als Agnes Pearl bittet, die Opfer nach dem Täter zu befragen, wird es für beiden Frauen gefährlich…


Der Festa Verlag etabliert sich immer mehr im Bereich des bibliophilen Buches. Hier nehmen die viktorianischen Schauer-Romane Laura Purcells einen besonderen Platz ein. Vorliegend hat sich die Kreativabteilung bei Festa wieder einmal selbst übertroffen. Ein wunderbar mit kleinen, goldenen Scheren verziertes Vorsatzpapier, ein Rundumfarbschnitt, in dem das Motiv der goldenen Schere aufgegriffen wird, dazu Lesebändchen und ein stimmiges Cover - das Buch ist schon optisch eine Wucht!

Inhaltlich bleibt sich die Verfasserin treu. Sie hat ihre Nische im viktorianischen Schauer-Roman gefunden, kennt sich in der Zeit aus und kann uns so eine Bühne offerieren, die glaubwürdig und auch in Details interessant und sorgfältig recherchiert, überzeugend wirkt.

In den abwechselnd aus Sicht von Agnes beziehungsweise Pearl erzählten Kapiteln lernen wir die beiden Protagonistinnen kennen. Beide haben es im Leben wahrlich nicht einfach, ihre jeweilige Hintergrundgeschichte erschließt sich uns in den ersten Kapiteln, nimmt uns für sie ein. Allerdings sind beide Figuren nicht unbedingt Charaktere, die mich eingeladen haben, in sie hineinzuschlüpfen. In der Folgezeit entwickelt sich der Plot zunehmend zu einer spannenden Detektivgeschichte mit übernatürlichem Flair.

Das Gebotene erinnert mich ein wenig an die Grande Dame Daphne du Maurier. Ähnlich wie diese versteht es Purcell wunderbar atmosphärisch dicht zu erzählen und ihre Leserinnen und Leser erst unauffällig, dann aber gnadenlos in ihre Geschichte zu ziehen.