Lars Dangel (Hrsg.): Abseits der Geographie (Buch)

Lars Dangel (Hrsg.)
Abseits der Geographie
Unheimliche und phantastische Erzählungen aus der Zeit von 1838 bis 1946
Titelbild und Innenillustrationen: Angelika Pillous
Dunkelgestirn, 2022, Hardcover, 368 Seiten, 50,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Inzwischen ist es schon eine liebe Übung, wenn uns Eric Hantsch in seiner Edition Dunkelgestirn zusammen mit Lars Dangel einen weiteren Band vergessener Perlen der unheimlichen Literatur kredenzt. Hantsch sorgt als umtriebiger Herausgeber dafür, dass die Bücher als besonders liebevoll und hochwertig gestaltete Titel erscheinen, Dangel ist in seiner umfangreichen Bibliothek einmal mehr auf die Suche nach zu Unrecht vergessenen oder schlicht unbekannten Preziosen der gruseligen oder phantastischen Art gegangen und wurde - natürlich - wieder fündig.

Der Herausgeber fragt sich in seiner Einleitung, ob in derart schweren Zeiten, in denen in Europa wieder Krieg herrscht, die Herausgabe eines Bandes mit Gruselgeschichten überhaupt angesagt sei. Ein ganz entschiedenes Ja schallt ihm von mir entgegen - sollen wir uns denn von den Vorkommnissen, die so schon schwer belasten, jeglicher Freude berauben lassen? Angesichts kalter Winter dürfte das Lesen (im warmen Bett) vielleicht gar wieder en vogue werden?

Schon äußerlich kommt uns das Buch einmal mehr als wahres Kleinod entgegen. Marmorierte in grün-türkis gehaltener Deckel, geprägter Rücken, Lesebändchen, hochwertiges Papier und diverse Farbillustrationen nebst dem Schuber - da lacht das Herz des Bücherfreundes und daraus erklärt sich auch der Preis des umfangreichen Buchs, mit dem ganz gewusst kein Gewinn erzielt werden soll.

Inhaltlich hat der Herausgeber einmal mehr aus seinem umfangreichen Fundus gegriffen. Die Verfasser der Geschichten dürften selbst dem Kenner klassischer Phantastik unbekannt sein, so dass die kurze biographische Vorstellung derselben, jeweils vor dem entsprechenden Beitrag, mehr als hilfreich ist.

Vierundzwanzig Erzählungen erwarten vorliegend den Leser. Dabei geht es um ganz unterschiedliche Topics.


Gleich zum Auftakt geht es um die manches Mal giftige Wirkung von Pflanzen. Als ein Galan sich einer Dame aufdrängen will, nimmt sie sich dessen Kakteen-Sammlung vor - mit gar drastischen Ergebnis.
Ein sprechendes Pferd weist den Weg in eine andere Welt, in der gänzlich andere Naturgesetzte herrschen - sprechende Pferde, nachwachsende Gliedmaßen und eine etwas andere Fortpflanzungsmethode beweisen es.
Auch in den südamerikanischen Dschungel geht es - ein seit Jahrhunderten verlassener Tempel wartet auf zwei europäische Forscher - die gar unheimliche Begegnungen haben.
Die Eroberung des Weltenraums wird auch thematisiert - allerdings, da im Raum weder Schwerkraft noch Zeit existiert, doch mit unerwarteten Folgen für die Reisenden
Ägyptische Fischer wissen von einer Überlieferung zu berichten, nach der ein uraltes Reich einst in den Wellen versank, die Bewohner zu Haimenschen verwandelt ihr Dasein seitdem im kalten Nass fristen. Ein Märchen, natürlich, bis sich dann ein Fischer mit einem doch recht ungewöhnlichen Hai anlegt.
Die Hand des Ruhms ist ein mehr als seltenes magisches Vehikel. Vor dem Tod durch den Strang muss die Hand freiwillig verkauft werden - wie nur kommt man an ein solches Stück? Nun, ein Gaukler und Magier in Paris beweist, dass man, so man geschickt zu manipulieren weiß, auch zur Zeit Louis XIV. - mit ein wenig Musketier-Flair - einen Tuchhändler verführen kann-
Ein junger Tenor und Bauchredner verliebt sich unsterblich in eine Femme fatale - eine laszive Frau, die ihn in der Folgezeit nicht nur um seine Gesundheit, seine Stimme und seine Karriere bringt, sondern auch um sein Glück.
Ein Waldgeist macht zur beginnenden Neuzeit von sich reden. In Gestalt einer hübschen Frau verführt sie einen Adeligen - der ihr dann aber, dank einer weisen Kräuterhexe, auf die Spur kommt.
Die Kammerzofe Tutenchamons wurde vor Jahrtausenden mit einem Fluch belegt. Ähnlich wie ein legendärer Djinn muss sie demjenigen, der einen Skarabäus öffnet, einen Wunsch erfüllen.


Wie man sieht: Die Beiträge sind abwechslungsreich, faszinierend, gruselig und spannend. Dabei schocken uns die Verfasser nicht, wie inzwischen fast schon üblich, mit grausamer Gewalt und jeder Menge Blut und Innereien, es ist eine andere, eine leisere Art des Unheimlichen, des Gruseligen, die uns heimsucht. Dass diese nach wie vor das Potential haben, uns zu verstören und heimzusuchen spricht nur für die Qualität der Verfasser und ihrer Phantasie. Stilistisch sind die Beiträge alle erfreulicherweise auf einem durchaus ansprechendem Niveau - ganz bewusst wurden altertümliche Ausdrücke und Redewendungen werkgetreu belassen, auch lange überkommene Ansichten, die den Zeitgeist widerspiegeln, werden nicht abgeändert.

So ist dies einmal mehr ein wunderbares Buch; handwerklich toll gemacht, inhaltlich abwechslungsreich kann man die einzelnen Geschichten nach und nach goutieren, sich verzaubern oder gruseln lassen und den tristen Alltag ein klein wenig vergessen.