Jodi Taylor: Doktor Maxwells paradoxer Zeitunfall (Buch)

Jodi Taylor
Doktor Maxwells paradoxer Zeitunfall
(What Could Possibly Go Wrong, 2015)
Übersetzung: Marianne Schmidt
Blanvalet, 2022, Taschenbuch, 508 Seiten, 11,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Rekapitulieren wir einmal kurz. Zeitreisen sind technisch möglich und, nachdem die verschiedensten Nationen zu Beginn jeweils zur eigenen Machtsicherung in den Zeitstrom eingegriffen haben, inzwischen streng reglementiert. Die Zeitpolizei wacht mit Argusaugen über das Einhalten der Zeitlinie, Verstöße werden mit drastischen Mitteln, so wie in Terminierung der Verantwortlichen, rigoros unterbunden.

Dr. Madeleine Maxwell, besser bekannt unter dem Namen Max, ist studierte Geschichtswissenschaftlerin. Als solche hat sie sich während und nach ihrem Studium mit historischen Ereignissen beschäftigt, hat Quellen und Hypothesen gewälzt, ohne der Wahrheit aber je wirklich nahe gekommen zu sein.

Inzwischen arbeitet sie für das Institut für Historische Forschung im St. Mary’s-Stift. Dort untersucht sie größere historische Ereignisse in zeitgenössischer Umgebung - wie man die Zeitreisen offiziell so schön nennt.

Nachdem sie bei ihrem letzten Abenteuer am Knie verletzt wurde, darf, na gut bleiben wir bei der Wahrheit, sie muss derzeit eher im zweiten Glied tätig werden - soll heißen, sie darf sich um die Ausbildung neuer Historiker kümmern.

Und sie macht sich mit Feuereifer daran, die angestaubten Lehrpläne zu aktualisieren.

Statt erst einmal monatelang zu büffeln, dürfen die fünf Aspiranten gleich einmal munter in der Zeit herumreisen. Natürlich werden zwar interessante, aber ungefährliche Ziele ausgesucht: Es geht ins alte Ägypten, zu Herodot nach Italien, in die Neandertaler-Eiszeit oder ins England des ausgehenden Mittelalters - da kann doch gar nichts schiefgehen, oder?

Nun, Max wäre nicht unsere so manches Mal überengagierte Historikerin mit dem Herz auf dem rechten Fleck, wenn wirklich alles reibungslos ablaufen würde.

Es kommt zu… nun nennen wir es einmal Komplikationen, wie in: ihre Azubis werden gefangengesetzt, gejagt, entführt und mit jeder Menge Waffen bedroht - und natürlich immer, aber auch wirklich ausnahmslos mittendrin, unsere körperlich angeschlagene Max. Zumal auch die Zeitpolizei, ein Mammut-Baby, unbekannte Gegner des St. Mary’s und Verräter auf sie lauern…

 

Im sechsten von bislang im Original elf Titeln um unsere wackere Historikerin schaltet die Autorin einen Gang zurück. Erstaunlicherweise ist dieses Mal, zumindest auf den ersten Blick, weder die Existenz des St. Mary’s bedroht, noch winkt die Apokalypse der Zeitlinie. Stattdessen konzentriert sich die Verfasserin auf eine körperlich ein klein wenig angeschlagene Hauptfigur, die Wissen praktisch vermitteln soll.

Nun ist das mit der Wissensvermittlung ja bekanntermaßen immer eine Krux. Der Stoff langweilt die Eleven zumeist doch etwas, zumal, wenn es sich um geschichtliches Wissen dreht und man doch so viel interessanter vor Ort und Zeit recherchieren könnte. Max überredet die Verantwortlichen neue Wege zu gehen, die Ausbildung ein klein wenig interessanter, praktischer und packender zu gestalten.

Dass dann mal wieder alles in die Binsen geht - es war zu befürchten, birgt aber für den Leser jede Menge unterhaltsamer Situationen und Momente.

Jodi Taylor aber belässt es beileibe nicht dabei. Es werden alte Rätsel aufgedeckt, Bösewichter entlarvt und es gilt erneut Abschied von liebgewonnenen Figuren zu nehmen. Die Verlustrate des Instituts ist hoch - kein Wunder, dass Nachwuchs dringend benötigt wird.

Die letzten beiden Romane waren deutlich zu lang. Es gab meines Erachtens überflüssige Exkurse, Handlungs-Subplots, die letztlich im Sande verliefen; die Werke konnten mich deshalb nicht gänzlich überzeugen.

Vorliegend macht es die Autorin besser. Zwar ist auch dieser Roman wieder etwas länger geraten, hätte man eine der Exkursionen weglassen können, ohne dass dies dem Plot sonderlich gestört hätte, doch der Roman liest sich in sich rund und ohne Brüche.

Immer dann, wenn die Autorin uns in die Vergangenheit entführt, wenn sie in sorgfältig recherchierten geschichtlichen Fakten rühren darf und uns mit ihrer Begeisterung für die Historie ansteckt, dann läuft sie zu Höchstform auf. Hier hat Jodi Taylor ihre unbestrittenen Stärken - und wenn sie diese ausspielt, dann wird es so richtig interessant. Und dies macht sie vorliegend. Daneben stellt sie ihre gewohnt liebevoll gezeichneten Figuren weiter ins Schaufenster, zeichnet diese dezidiert und entwickelt sie weiter. Das Herausnehmen der - zumeist überflüssigen - martialischen Action-Szenen der letzten Titel erweist sich als Glücksgriff.

Taylor liefert das, was sie toll beherrscht: ein Zeitreise-Abenteuer par excellence, das Appetit macht auf weitere Berichte aus St. Mary’s.