H. G. Wells 1: Die Zeitmaschine (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 05. März 2022 21:06
H. G. Wells 1
Die Zeitmaschine
(La machine à explorer le temps, 2017)
Adaption: Dobbs
Titelbild und Zeichnungen: Mathieu Moreau
Übersetzung: Tanja Krämling
Splitter, 2017, Hardcover, 56 Seiten, 15,80 EUR
Rezension von Elmar Huber
London 1895: Ein ehrgeiziger Wissenschaftler, der sich bereits einige Jahre mit der Möglichkeit der Zeitreisen beschäftigt, lädt drei Kollegen zum Abendessen in sein Haus ein, auch um ihnen endlich die Frucht seiner Arbeit zu präsentieren: eine kleine Zeitmaschine, die, in Betrieb genommen, vor den Augen der Anwesenden verschwindet. Die Gäste tun dies als Trick ab und konzentrieren sich lieber auf das Abendessen. Nachdem sich der Gastgeber kurz entschuldigt, kehrt er einige Minuten später, um Tage gealtert, unrasiert und sichtbar ramponiert, wieder an den Essenstisch zurück. Völlig perplex folgen seine Gäste ihm in den Keller, wo sie eine größere Version der Zeitmaschine erwartet und wo ihnen ihr Kollege eine unglaubliche Geschichte aus der Zukunft erzählt
Mit „Die Zeitmaschine“ eröffnet Dobbs eine sechsbändige Reihe von H.-G.-Wells-Adaptionen, die er mit wechselnden Künstlern realisiert hat. Dass er sich im viktorianischen London wohlfühlt, hat er bereits mit „Scotland Yard“ und „Mister Hyde vs. Frankenstein“ (beide erschienen bei Splitter) bewiesen, wo er bereits einige wilde Mischungen aus historischen und literarischen Figuren aus dem Hut gezaubert hat.
Im vorliegenden Band legt er dagegen eine fast sklavische Werktreue an den Tag. So folgt die grafische Erzählung den vorgegebenen Pfaden, die die meisten wohl aus der phantastischen George-Pal-Verfilmung kennen. Auch diese war bereits relativ vorlagentreu, sodass sich dem Kenner keine großartigen Überraschungen bieten.
Der namenlose Zeitreisende - damit hält sich Dobbs an den Roman - landet im Jahr 802701 in einer offenbar friedlichen Zukunft, die jedoch dem Verfall preisgegeben scheint. Zunächst sitzt er hier fest, da seine Maschine während eines Erkundungsgangs in einen wieder verschlossenen Bunker verschleppt wurde. Die Menschen, die er trifft, die Eloy, gehen dem Müßiggang nach und leben in dem vermeintlichen Paradies unbeschwert aber auch ziel- und nutzlos in den Tag.
Erst im weiteren Umkreis seines Ankunftsortes erkennt er teils schon wieder überwachsene Ruinen von unterirdischen Industrieanlagen, in denen sich noch anderes Leben tummelt: die lichtempfindlichen Morlocks, die bei Nacht aus dem Untergrund kommen und sich unter den Eloy ihre Nahrung holen. Offenbar haben sich beide Arten aus den Menschen entwickelt, und die Eloy, die die Morlocks zunächst als Arbeiter hielten, verweichlichten zunehmend und sind inzwischen nur mehr ergebenes Futtervieh für die Morlocks. Nach einem finalen Schlag gegen die Morlocks gelingt es dem Zeitreisenden, seine Maschine zu erreichen und in seine Gegenwart zurückzukehren.
Soweit funktioniert die Geschichte vorzüglich als schmissig-exotische SF-Abenteuergeschichte mit Horror-Elementen, die Mathieu Moreau in phantastische, satte und doch elegante Bilder kleidet, weitab von der Patina sonstiger illustrierter Klassiker. Besonders gefällt auch die Anordnung der Bilder, die zwar nur ganz selten von der rechtwinkligen Struktur abweicht, diese aber in Größe und Ausrichtung der einzelnen Panels sehr frei nutzt. Die Verwendung ganz unterschiedlicher Perspektiven sorgt für ein filmreifes look & feel.
Das einzige Manko, wenn man es denn so nennen kann, ist das fulminante Tempo, das Autor Dobbs vorlegt. Das ist einerseits packend und mitreißend, andererseits hätten einige leise und bedächtigere Szenen nicht geschadet, um das Ganze zu entschleunigen. Die unterschwelligen Aspekte der Geschichte werden schlicht überfahren, die emotionalen Höhepunkte können durch die schnelle Taktung gar nicht ihre volle Wirkung entfalten.
Grundsätzlich besitzt „Die Zeitmaschine“ neben dem oberflächlichen SF-Abenteuer-Aspekt noch eine Ebene zwischen den Zeilen, besonders, wenn man die sozialen Zustände der Entstehungszeit bedenkt. So führte das aufkommende Industriezeitalter in eine Art moderner Sklaverei, in der viele Lohnarbeiter für wenige (reiche) Industrielle tätig waren, was sein weitergedachtes Spiegelbild in den Morlocks und Eloy findet. Außerdem ist „Die Zeitmaschine“ auch ein Plädoyer gegen das Vergessen. Unvergessen die großartige (Film-) Szene, in der dem Zeitreisenden die unzähligen Bücher zwischen den Fingern zu Staub zerfallen. In der Comic-Adaption kommt dies überhaupt nicht zum Tragen.
Die Folge-Ausgaben der Reihe, „Krieg der Welten“ und „Der Unsichtbare“, sind jeweils als zwei Bände angelegt. Allein von der Fülle her hätte dies hier auch nicht geschadet.
„Die Zeitmaschine“ ist die moderne Comic-Adaption eines absoluten Klassikers, die mit Werktreue und phantastischen Bildern punktet, der aber zeitweise der notwendige Raum zum Atmen fehlt.