Sentient: Kinder der K.I. (Comic)

Sentient: Kinder der K.I.

(Sentient 1-6, 2019)

Text: Jeff Lemire

Zeichnungen: Gabriel Walta

Übersetzung: Bernd Kronsbein

Panini, 2021, Hardcover, 172 Seiten, 27,00 EUR

Rezensent von Elmar Huber

Da die Erde in absehbarer Zeit unbewohnbar wird, wurde auf einem geeigneten Planeten eine Kolonie gegründet, die für die Menschheit zu einer zweiten Heimat werden soll. Die „U.S.S. Montgomery“ ist eines der Schiffe, die nach und nach den langen Weg Richtung Kolonie antreten. Separatisten, sowohl auf der Erde als auch auf der Kolonie, boykottieren diesen Exodus, und es ist der Bewegung gelungen, eine Agentin auf die „Montgomery“ einzuschleusen. Diese tötet nach überschreiten des point of no return alle erwachsenen Besatzungsmitglieder. In letzter Sekunde kann VALARIE, die K.I. des Schiffes, von ihren Schutzprotokollen entbunden werden, sodass sie die Agentin töten und damit die Kinder an Bord retten kann. 

Infolgedessen ist VALARIE die Einzige, die den Kindern auf ihrem weiteren Weg beistehen kann. Die K.I. muss lernen, eine Mutter zu sein, ihre Schützlinge vor Gefahren zu bewahren und menschliche Entscheidungen zu treffen.


Der kanadische Autor Jeff Lemire („Justice League Dark“), der regelmäßig zwischen bekannten Superhelden und Eigenkreationen („Black Hammer“, „Sweet Tooth“, „Gideon Falls“) wechselt, gehört nicht von ungefähr zu den ganz großen gegenwärtigen Comic-Schreibern. Für den relativ neuen aber nicht wenig ambitionierten Verlag TKO Studios ist aus seiner Feder die sechsbändige Miniserie „Sentient: Kinder der K.I.“ entstanden, ein SF-Drama, das den Leser auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitnimmt, bei dem man nahe daran ist, eine Träne für eine künstliche Intelligenz zu verdrücken.

Das Ganze beginnt relativ ruhig; Alltag auf der „U.S.S. Montgomery“, bevor sich auf brutale Weise ein neuer Status quo ergibt. Schon die folgenden Szenen liest man mit einem dicken Kloß im Hals. Kinder verschiedener Altersstufen müssen sich von ihren toten Eltern verabschieden, changieren zwischen Trauma und Akzeptanz. Gleichzeitig hat die Schiffs-K.I. VALARIE die Rollen der Erwachsenen zu füllen, soll Eltern, Lehrer, Freundin sein. Und wie in echten Familien gibt es Reibungen, Trotz, Wut, Angst, Misstrauen, Enttäuschung. Emotionen, die VALARIE erst zu verstehen lernen muss.

Lemire vermittelt dies eindringlich und doch geschmeidig in die Handlung eingebunden. Damit funktioniert die emotionale Bindung an die menschlichen Figuren und auch an die K.I. Hervorragend.

Etwa ab der Hälfte wird auf dieser außergewöhnlichen Grundsituation plötzlich ein weiterer Handlungsbogen aufgebaut, der einen steilen Spannungsanstieg mitbringt. Lediglich der dritte Akt, in dem die „U.S.S. Montgomery“ unerwarteten Besuch bekommt, gerät in konventionellere (Action-) Bahnen und erscheint nicht mehr ganz so clever, in puncto Spannung aber nicht weniger wirkungsvoll.

Die Bilder von Gabriel Walta tragen einen Großteil zu der nahbaren Atmosphäre bei. Zwar bewegen wir uns in einer hochtechnisierten, ‚kalten‘ Umgebung, doch haben Gabriel Waltas Illustrationen einen deutlichen Freihand-Charakter, der das Ganze nicht steril wirken lässt.

Einmal mehr kombiniert Jeff Lemire in „Sentient: Kinder der K.I.“ bekannte Motive mit unerwarteten Elementen und schafft eine frische, originelle und eindringliche Geschichte, die den Leser sehr schnell packt und dann komplett mitreißt.