Bram Stoker: Schöpfer der Schatten - Fantastische Erzählungen Band 1 (Buch)

Bram Stoker
Schöpfer der Schatten - Fantastische Erzählungen Band 1
Übersetzung: Andreas Fliedner
Titelbild: W. V. Cockburn
Das Portrait Stokers im Vorsatz schuf Timo Würz
Festa, 2022, Hardcover, 380 Seiten, 34,99 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Wenn man den Namen Bram Stoker hört, dann taucht unwillkürlich - und auch bei vielen, die sonst mit dem Genre nichts anzufangen wissen - ein Romantitel sofort aus dem Gedächtnis auf - ja, natürlich spreche ich von „Dracula“.Ein Roman, der ein ganzes, eigenes Subgenre initiiert hat, der unzählige Nachahmer sowohl in literarischer wie cineastischer Form nach sich zog und der bis heute immer wieder neu aufgelegt wird. Ein Hinweis auf die kommentierte Prachtausgabe von Leslie Klinger bei Tor sei an dieser Stelle erlaubt.

Zurück zum vorliegenden Buch. Frank Festa hat in seinem gleichnamigen Verlag über die Jahre wunderbare und vielfältige Horror-Romane aufgelegt. Neben dem Extrem-Horror, den er erst bei uns einführte, waren auch immer wieder klassische Autoren vertreten. Hinzuweisen sind hier insbesondere auf die Werkausgaben von H. P. Lovecraft, Robert E. Howard oder C. A. Smith aber auch zum Beispiel auf „Der Mönch“ aus der Feder Matthew G, Lewis’.

Um sein Programm noch breiter aufzustellen, hat der Verlag sich nun entschlossen, eine neue Reihe zu lancieren. „Weird Fiction“ heißt sie, editiert, eingeleitet und übersetzt wird sie von Andreas Fliedner, einem Kenner der Materie.

Für die nächste Zeit sind neben der Stoker-Ausgabe eine Edition mit den bei uns kaum bekannten Erzählungen von Robert Aickmans und ein Band mit Geschichten von Joseph LeFanu in Vorbereitung.

Die Aufmachung mit kundigem, einführendem Vorwort erinnert mich ein wenig an die legendäre Reihe „Phantastische Literatur“ von Bastei-Lübbe.

Andreas Fliedner präsentiert uns in diesem ersten von voraussichtlich zwei Sammelbänden mit den Fantastischen Erzählungen Stokers diese in chronologischer Reihenfolge; - soll heißen, wir verfolgen auch mit, wie der Autor Stoker gereift ist, sich seine Erzählungen, sowohl handwerklich wie vom Inhalt her, gewandelt haben.


Die ersten Beiträge bieten sich dann auch noch eher dem Üblichen verhaftet an. Da sammelt ein Herrscher Künstler aller Couleur, um sich an ihnen zu erfreuen und mit diesen zu brüsten, wobei einer der Schöpfer sein Meisterwerk, einen Kristallkelch, mit dem Leben bezahlt - mit Folgen für seinen Entführer. Oder die erst 2015 wiederentdeckte Geschichte um einen Seefahrer, den ein ermordeter Kamerad als Geist immer wieder vor finsteren Komplotten warnt; dann eine viktorianische Gespenstergeschichte um einen Familienfluch.

Daran schließt sich ein ganzer Kreis von Geschichten an, die Stoker für ein Jugendbuch verfasst hat. Die acht Erzählungen „Hinter dem Sonnenuntergang“ kommen ein wenig belehrend daher, versuchen die jugendliche Zielgruppe dazu anzuregen, sich regelkonform zu verhalten und den christlichen Glauben zu leben. Das wirkt, gerade aus heutiger Sicht, ein wenig aufgesetzt.

Die abschließenden drei Storys sind dann Stoker at its best. Es geht um eine Wahrsagung, die als selbsterfüllende Prophezeiung ihre Wirkung zeigt, um jugendliche Straftäter, die durch keinerlei Hemmungen oder inneren Moralkompass ihre Verbrechen begehen und um ein Spukhaus, in dem eine riesige Ratte ihre Herrschaft ausübt.


All diese längeren Erzählungen zeigen uns einen Autor, der mit Atmosphäre und Figuren zu spielen weiß, der ganz bewusst seine dosierten übernatürlichen Sequenzen setzt und uns ob der beschriebenen Vorgänge schaudern lässt.

So ist dies ein sehr gelungener Auftakt einer neuen Reihe, die uns Klassiker des Übernatürlichen, des Dunklen und Unbegreiflichen präsentieren wird, die bei uns zu Unrecht noch nicht bekannt sind. Andreas Fliedner und der Verlag werden diesem Missstand abzuhelfen wissen.