Magdas Apokalypse (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 16. Februar 2022 18:45
Magdas Apokalypse
(L’apocalypse selon Magda, 2016)
Text: Chloé Vollmer-Lo
Titelbild und Zeichnungen: Carole Maurel
Übersetzung: Monja Reichert
Splitter, 2017, Hardcover,192 Seiten, 24,80 EUR
Rezension von Elmar Huber
„Der Weltuntergang findet nicht statt!“ Eine Nachricht, die alle Menschen der Erde in frenetischen Jubel ausbrechen lässt, hat bei der 13jährigen Magda den gegenteiligen Effekt.
Ein Tag vor Magdas 13. Geburtstag wird der Weltuntergang verkündet, der ein Jahr darauf stattfinden soll. Eine Ankündigung, die die Menschen in Magdas Umgebung scheinbar in zwei Lager spaltet. Einmal diejenigen, die alles ausprobieren wollen, wozu sie bislang nie den Mut hatten. Dazu gehört auch ihr Vater, der seine Familie verlässt, um die ihm verbleibende Zeit mit seiner Geliebten zu leben. Zum Zweiten diejenigen, die in dem beginnenden Chaos ihr Leben wie bisher weiterleben, so gut es geht, um nicht durchzudrehen.
Schon allein ihre einsetzende Pubertät empfiehlt Magda für die erste Gruppe. Zunächst noch zaghaft wird Magda bald offensiv abenteuerlustig. Sie verliert ihre Unschuld, wirft ihre gesunde Vorsicht, was ihren Umgang angeht, über Bord und stößt Freunde und Familie vor den Kopf. Kompromisse ade, Fastenzeit vorbei.
„Magdas Apokalypse“ ist in vier Kapitel unterteilt, die sich an den Jahreszeiten dieses angeblich letzten Jahres der Menschheit orientieren. Und mit jedem Kapitel wandelt sich die Geschichte um Magdas Zeitraffer-Erwachsenwerden mehr und mehr zum eindringlichen Drama.
Die Ankündigung, dass das Leben bald vorbei ist, bringt das Beste und das Schlimmste in den Menschen zum Vorschein; die bisherigen Regeln gelten nicht mehr. So stößt Autorin Chloé Vollmer-Lo mit „Magdas Apokalypse“ ein Gedanken-Experiment an, das noch während der Lektüre im Kopf des Lesers unweigerlich eine ganz persönliche Parallelhandlung lostritt, nämlich die Vorstellung, was man selbst in einer solchen Situation tun würde. Dabei muss jeder für sich entscheiden, wie weit er gehen würde. Ob es wichtiger ist, sich ohne Rücksicht auf Verluste zu verwirklichen, seine Grenzen auszutesten und dabei auch Erde zu verbrennen - oder ob man die Flagge der Zivilisation, der Menschlichkeit und Brüderlichkeit hochhält. In „Magdas Apokalypse“ gibt es beide Fraktionen, die Chloé Vollmer-Lo jeweils nachvollziehbar schildert, ohne Partei zu ergreifen oder den moralischen Zeigefinger zu heben.
Gedanken-Experimente, bei denen die Menschen keine Folgen für ihre unmoralischen oder gar ungesetzlichen Taten fürchten müssen, gibt es in der Fiktion einige. In „Magdas Apokalypse“ passiert es allerdings, dass der Weltuntergang ausbleibt, aber das Leben nicht wieder auf ‚Null‘ gesetzt wird. Magdas Worte und Taten und auch deren Folgen bleiben bestehen, ihr Gewissen schaltet sich mit aller Macht wieder ein, die Story gipfelt in einem drastischen Finale.
Der Comic ist das Autorendebüt der Fotografin Chloé Vollmer-Lo, die hier mit selbstbewusstem Understatement eine beeindruckend vielschichtige Erzählung abgeliefert hat, die den Leser unaufdringlich fesselt. Der cartoonhafte Zeichenstil von Carole Maurel beschwört ein wohliges Gefühl herauf, das die immer dramatischer werdende Story zunehmend konterkariert.
„Ohne den Weltuntergang wären mir Jahre geblieben, dich zu lieben. Sanft, ungeschickt, zärtlich. Aber mit genug Zeit, um daran zu glauben.“
Eine einfache Prämisse, die vielschichtige Folgen nach sich zieht.
„Magdas Apokalypse“ ist ein beeindruckend intensives Comic-Debüt.