Sonja Rüther: Libellenfeuer - Geistkrieger 2 (Buch)

Sonja Rüther
Libellenfeuer
Geistkrieger 2
Knaur, 2022, Paperback, 396 Seiten, 10,99 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der ein wesentlicher Teil der Menschheit im Einklang mit der Natur lebt. Das soll aber beileibe nicht heißen, dass man dort auf die Technik verzichten würde. Doch man hat darauf geachtet, die Technik umweltverträglich zu entwickeln und immer wieder erfolgreich technische Innovationen mit der Natur zu verbinden. Eine solche Zivilisation hat naturgemäß einen ganz anderen Zugang zur astralen Ebene des Daseins.

Willkommen also in Nordamerika, einem Kontinent aber, der mit dem was wir von den USA, Kanada und Mexiko kennen, nichts gemein hat. Seitdem die Wikinger vor Jahrhunderten dort siedelten und Friedensläufer die Warnungen vor dem angreifenden weißen Mann unter den Stämmen verbreiteten, haben die Powtankaner es nicht nur verstanden, die Europäer an der Eroberung der Neuen Welt zu hindern, auch der technologische Vorsprung ihrer grünen Erfindungen hat dafür gesorgt, dass die vereinten Länder der Stämme sich als gelobtes Land für Kasketen und Wasicun herauskristallisiert haben.

Im ersten Teil des Zweiteilers haben wir diese faszinierende Welt durch die Augen des Immigranten Finnley, der der Liebe wegen aus Schottland eingewandert ist, kennengelernt. Als ehemaliger Personenschützer, der seinen in ihm ruhenden Fenriswolf erst annehmen musste, hat er sich den Ordnungshütern angeschlossen. Ausgerechnet er, der aus einer technisierten Welt stammt, wird den Geisterkriegern, einer Spezialeinheit, die sich mit spirituellen Verbrechen befasst, zugeteilt. Und seine etwas andere Sicht wurde dringend benötigt, als ein Unbekannter begann, Menschen buchstäblich in der Luft zu zerreißen und ihnen ihre Gaben zu stehlen.

Mittlerweile hat Finnley viele Probleme: Nicht nur, dass die Japaner das Land besuchen und eine Allianz anstreben, dass die Sondereinheit aus machtpolitischem Kalkül vor ihrer Auflösung steht und einer mystische Seuche die Bewohner heimsucht, er steht auch zwischen zwei Frauen.

Die eine liebt er abgöttisch, hat wegen dieser alle Brücken hinter sich abgebrochen, die andere trägt sein Kind, ein gesegnetes Kind, das dem Clan, zu dem es gehören wird, Macht und Ansehen verschaffen wird. Dass er zudem durch ein magisches Band mit der Mutter seines Kindes verbunden ist, macht die emotionale Achterbahnfahrt nicht einfacher - zumal der Gegner immer skrupelloser vorgeht...


Sonja Rüther legte in ihrem ersten Teil ein faszinierend zu lesendes Garn vor. Die Mischung aus umweltbewusster Zivilisation und einem Kriminal-Plot faszinierte nicht nur in der Edition Roter Drache erschienen Erstausgabe, auch Knaur sprang auf die Mischung an und legte den Roman im Fantasy-Programm neu auf. Besser noch, man ließ bei Knaur dem ersten Teil in kurzem Abstand vorliegende Fortsetzung folgen.

Allerdings konnte mich dieser zweite Teil, dem der Verlag noch eine in dieser Welt angesiedelten Kurzgeschichte aus der Feder von Markus Heitz spendiert hat, nicht ganz so überzeugen, wie der erste.

Woran lag dies? Nun, zunächst kommt der Plot nicht wirklich in Fahrt. Vieles bleibt zu Beginn diffus, wo liegt die Bedrohung, geht es um die Machtspiele innerhalb der Clans oder gar um das Beziehungsdreieck und die daraus resultierenden Probleme?

Alles per se interessante Ansätze, doch keiner dieser rückt in den Vordergrund, so dass die Handlung ein wenig zwischen diesen hin und her schaukelt.

Stand im ersten Teil noch die Vorstellung der uns so fremden Gesellschaft und deren Leben im Einklang mit der Natur im Zentrum, so rückt diese Kulisse vorliegend eher in den Hintergrund. Die Darstellung der Intrigen der Clans, der Machtspiele und Versuche zu intrigieren und die Sondereinheit aufzulösen, werden immer deutlicher thematisiert, daneben laufen aber, wie erwähnt, die Suche nach der Ursache respektive dem Verursacher der Seuche und die emotionalen Verwerfungen unseres Dreiecks mit.

Gerade letztere konnten mich nicht wirklich faszinieren. Die beiden Frauen, so sympathisch diese auch gezeichnet werden, und unser Schotte agieren für mich wenig glaubhaft. Sie sind in der Erwartungshaltung ihrer Umwelt gefangen, richten sich vielleicht auch zu sehr nach den Konventionen und dem, was von ihnen erwartet wird. Dabei kam mir die Darstellung der inneren Verzweiflung, der Auflehnung, des „Warum passiert ausgerechnet mir dies?“ zu kurz. Auch der Zwiespalt in dem sich Finnley wiederfindet, als Mann zwischen zwei Frauen - einer, in die er sich verliebt hat, eine, in die ihn das Band des gemeinsamen Kindes zwingt - wird mir ein wenig zu oberflächlich dargestellt.

Der aktuelle Aspekt, den die Verfasserin in den Plot inkludiert hat, der Umgang mit der Seuche, was dieser mit den Menschen, gleich ob infiziert oder noch gesund macht, verleiht der Handlung eine aktuelle Note. Die Schilderung, wie bei einer früheren Epidemie die Menschen in Amerika im Vergleich zu denen in Europa mit dieser und den damit verbundenen Einschränkungen umgingen, stellt den Bezug zu unserer aktuellen Situation her. Dass die Autorin dann noch eine(n) Transgender einführt, sorgt für weitere Aktualität.

Alles in allem ist „Libellenfeuer“ ein Roman, der viele aktuelle Probleme Inkludiert, der wiederum mit seiner faszinierend anderem Setting punktet, sich aber letztlich aber nicht entscheiden kann, welche Geschichte wirklich ins Zentrum rückt.