Lynette Noni: Die Schattenheilerin - Prison Healer 1 (Buch)

Lynette Noni
Die Schattenheilerin
Prison Healer 1
(The Prison Healer, 2021)
Übersetzung: Sandra Knuffinke & Jessika Komina
Titelbild: Jim Tierney
Loewe, 2022, Hardcover, 526 Seiten, 19,95 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Als Kind muss Kive hilflos mitansehen, wie ihr kleiner Bruder von Wachen der Herrscher umgebracht, ihr Vater als vermeintlicher Verräter angeklagt und verurteilt wird. Da sie ihren Vater nicht verlassen will, wird sie zusammen mit diesem im in einer unwirtlichen Gegend des Reiches befindlichen Zalindov-Gefängnis, eingekerkert. Einem Gefängnis, in dem ausschließlich brutale Mörder, Vergewaltiger und Verräter ihre lebenslängliche Strafe verbüßen. Keinem ist je die Flucht gelungen, die Lebenserwartung beträgt je nachdem, wo der Sträfling eingesetzt wird, zwischen 6 Monaten und 2 Jahren.

Ihr Vater bringt ihr, bevor er stirbt, alles bei, was er über das Heilen weiß. Seitdem, mittlerweile schon seit zehn Jahren, ist Kive die Heilerin des Lagers, kümmert sich um Sträflinge wie Wachen gleichermaßen und versucht, aus Selbstschutz, möglichst zu Niemandem eine emotionale Verbindung aufzubauen. Alle paar Jahre einmal erhält sie Botschaften - sie soll ausharren, Rettung würde kommen.

Als die Rebellenkönigin gefangengesetzt wird und ins Lager kommt, erhält sie aus derselben Quelle die Anweisung, diese unbedingt am Leben zu halten. Der Prinz von Wenderall und seine Schwester kommen der Elementarprüfung beizuwohnen, zu der die Rebellin verurteilt wird. Die schwer erkrankte Rebellin kann die vier Prüfungen auf Leben und Tod niemals bewältigen. An ihrer Stelle meldet sich Kiva, die Prüfung abzulegen - als Belohnung winkt, wenn sie diese denn überlebt, die Freiheit sowohl für die Rebellin wie für Kive - wahrscheinlicher aber ist ihr Scheitern und der Tod.


Einmal mehr liegt der Auftakt einer Fantasy-Jugendbuch-Trilogie hinter mir. Zunächst ist zu konstatieren, dass die Autorin Vieles richtig gemacht hat.

Da ist natürlich und in erster Linie die Wahl ihrer Erzählerin zu nennen. Kive, jung, nach einem traumatischen Erlebnis im Gefängnis aufgewachsen, an alltägliche Brutalität, an Mord und Folter gewöhnt, ist sicherlich kein einfacher Charakter. Dass sie zudem als Zuträgerin für den Gefängnisdirektor arbeitet, macht sie unter den Mithäftlingen nicht eben beliebter. Umso überzeugender ist ihre anfängliche Zeichnung als eine Person, die sich emotional gegenüber ihrer Umwelt weitgehend abgeschottet hat. Sie weiß, dass sie eigentlich niemanden in ihr Herz lassen sollte, zu schnell könnte dieser tot sein, wäre sie selbst erpressbar. Und dennoch geht sie eben dieses Risiko ein - ein stotternder, elfjähriger Junge, der einst an der Hand seines verurteilten Vaters geklammert das Gefängnis betreten hat und nun unschuldig hinter Gittern sitzt ist jemand, der ihr wichtig ist, ein neuer Gefangener, der ihre Nähe sucht ebenso und dann ist da noch eine Wächterin mit einem künstlichen Arm. Das sind interessante, weil mysteriös gezeichnete Figuren, da warten Geschichten und Geheimnisse darauf, erzählt und gelüftet zu werden.

In Kombination zu dem sehr grausam gezeichneten Gefängnis, in dem ein Menschenleben nichts wert ist, in dem die Wächter sich alles erlauben können und dies weidlich ausnutzen, können wir uns gut in diese Figur hineinversetzen, können ihre Furcht, ihre Angst und die Hoffnungslosigkeit sehr intensiv nachvollziehen. Dass sie trotz ihres Versuchs unpersönlich zu bleiben als Heilerin um jedes Leben kämpft, erringt unsere Achtung.

Es gibt eine kleine, mehr im Hintergrund ablaufende Liebesgeschichte, die den Handlungsfortschritt kaum berührt. In erster Linie geht es vordergründig um die vier Elementar-Prüfungen, die es zu überleben gilt, aber natürlich auch um die vielen Geheimnisse, die die Figuren umgeben. Wer sind die Handelnden wirklich, was wollen sie, wie passt alles zusammen? Fragen, die einer Auflösung harren. Dabei lässt sich Noni Zeit damit, uns ihre Geschichte zu offenbaren. Immer wieder nimmt sie das Tempo zurück, reflektiert über das Erlebte, lässt ihre ambivalent gezeichneten Figuren zur Ruhe kommen und nachdenken.

Für ein Jugendbuch, das sich an Leserinnen und Leser ab 14 Jahren richtet, ist der Plot recht düster, es geht schockierend und brutal zu, gleichzeitig bannt uns dies natürlich auch an die Handlung.

Im zum einerseits absehbaren, dann aber auch wieder überraschenden Finale erstaunt uns Kivas Reaktion auf eine der Figuren, die nicht wirklich zu der über das gesamte Buch beschriebenen Person passen will. Alles in allem eine faszinierende Lektüre, in der das Ende uns etwa verwirrt und überrascht zurücklässt, doch merke: Fortsetzung folgt.