Tabula Rasa - Season 1 Box (DVD)

Tabula Rasa - Season 1 Box
B 2017

Rezension von Elmar Huber

Nach einem Autounfall leidet der erfolgreiche Musical-Star Annemie „Mie“ D‘Haeze (Veerle Baetens) an anterograder Amnesie. Das heißt, sie kann keine neuen Bewusstseinsinhalte speichern, während sie sich an die Ereignisse vor dem Unfall noch problemlos erinnern kann. Nach einem häuslichen Unfall, bei dem ihre Wohnung abgebrannt ist, ziehen sie, ihr Mann Benoit (Stijn Van Opstal) und ihre Tochter Romy in das abgeschiedene Haus ihres verstorbenen Großvaters. Benoit geht einer geregelten Arbeit nach und bedient sich moderner Technik, die Mie das alltägliche Leben in dem einsam gelegenen Haus erleichtern soll, ohne dass den ganzen Tag die Haustür offensteht oder sie in ihrer Vergesslichkeit die Bude abfackelt. Schließlich muss sie sich auch noch um Romy kümmern.

Einige Wochen später wird Mie in die Psychiatrie eingewiesen. Regelmäßig erscheint dort der Polizist Wolkers (Gene Bervoets), der sie zum Verschwinden eines gewissen Thomas De Geest befragt.

 

„Tabula Rasa“ bedeutet so viel wie „unbeschriebenes Blatt“, was mit Mies Gehirn gleichzusetzen ist. Und da die Serie aus Mies Sicht geschildert wird, haben wir hier die berühmte ‚unzuverlässige Erzählerin‘. Eine sehr dankbare Ausgangssituation für einen tricky Psycho-Thriller, die es erlaubt, die Figuren und die Situation immer wieder neu zu definieren, je nachdem, wie viele Informationen man dem Zuschauer gerade an die Hand gibt. Beliebig lässt sich auch mit dem Wahrheitsgehalt des Gesehenen spielen.

So beginnt „Tabula Rasa“ in der Gegenwart, nämlich in der Psychiatrie, in der Mie einsitzt. Ziemlich bald erfährt man, dass sie sie Hauptverdächtige im Fall des verschwundenen Thomas De Geest ist, sich aber an nichts erinnern kann.

Parallel springt die Handlung nun immer wieder zwischen Gegenwart und der Erholungszeit nach dem Autounfall, dem sie ihren Zustand verdankt. Sehr geschickt schaffen es die Autoren, Mie zum unfreiwilligen Spielball zu machen, denn an eine wie auch immer geartete Schuld Mies möchte man nicht glauben. Zuerst gerät der Ehemann in Verdacht, sie mit seinem Kontrollzwang zu manipulieren, doch erkennt man nach und nach die Notwendigkeit diverser Maßnahmen, die Mie das Leben einfacher machen sollen, ist sie in ihrem Zustand doch alles andere als zuverlässig. Dennoch wird man den Verdacht nicht los, dass außerhalb ihrer Wahrnehmung oder ihrer Erinnerung noch etwas anderes vor sich geht, was ihr die Personen um sie herum krampfhaft verschweigen.

Nach und nach baut sich das Figurenkarussell auf, unter anderem der verschwundene Thomas De Geest, Verdachtsmomente und Tatmotive werden geschürt oder widerlegt, und es kommt zu einigen handfesten Story-Twists. Dabei wird die Balance der Erzählstränge insgesamt gut gehalten. Nur die Auflösung der Geschichte kommt etwas plötzlich um die Ecke, ohne dass es zuvor Hinweise in diese Richtung gab.

Dass Mies Gedächtnis versucht, die Lücken zu füllen, führt zu einigen bizarren Szenen, die teilweise schon dem Horror-Genre entliehen sind. Metapherartige Visionen von rotem Sand zum Beispiel, den offenbar nur sie sehen kann. Manchmal bedeckt dieser nur den Tisch oder das Bettlaken oder findet sich in ihren Schuhen. gelegentlich rieselt er aber auch aus dem Wasserhahn oder durch die Deckbalken.

Schauspielerisch und optisch ist die Serie durchgehend mehr als gelungen, die Bilder atmen eine bedrohliche Tristesse und bisweilen altmodischen Grusel-Chic. Erzählerisch hätte die Serie gern einen Gang nach oben schalten dürfen.

„Tabula Rasa“ ist ein Psycho-Thriller mit modernem Arthouse-Touch und altmodischem Grusel-Flair. Für geduldige Genre-Fans eine deutliche Empfehlung.


(Unter anderem ist „Tabula Rasa“ komplett in der ZDFmediathek abrufbar.)