Mermaid Project 1 (Comic)

Mermaid Project 1
(Mermaid Project Épisode 1, 2012)
Text: Leo, Corine Jamar
Titelbild und Zeichnungen: Fred Simon
Übersetzung: Harald Sachse
Splitter, 2018, Hardcover, 48 Seiten, 14,80 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Elmar Huber

Paris in einer nicht allzuweit entfernter Zukunft: Die Polizeiinspektorin Romane Pennac erhält auf dem Kommissariat Besuch von Ehepaar Maubert, das ihr eine anonyme Nachricht aushändigt, in der ihr Name genannt ist. Die Nachricht besagt weiterhin, dass es nicht die Leiche ihrer Tochter Angeline war, die kürzlich in einem versiegelten Sarg von New York nach Paris überführt wurde. Angeline Maubert soll bei einem Unfall in der Fabrik ihres Arbeitgebers Algapower gestorben sein. Pennacs erster Gedanke gilt ihrem Zwillingsbruder Roger, der als Genetiker bei Algapower arbeitet, und die Exhumierung der Leiche ergibt tatsächlich, dass in dem Sarg der jungen Frau ein Mann liegt. 

Gemeinsam mit dem Agenten El Malik fliegt Pennac nach New York, um zusammen mit dem New Yorker Polizeikollegen Diego Molinos direkt bei Algapower nach einer Erklärung für den Vorfall zu suchen. Von einer peinlichen Verwechslung im Leichenschauhaus ist die Rede, und selbstverständlich hat Algapower, die aus genveränderten Algen Methan als Treibstoff der Zukunft gewinnen, nichts zu verbergen. Doch eine Bemerkung ihres Bruders, mit dem sie auf Hinweis auf den Schutz geheimer Projektdaten nur hinter einer Trennwand sprechen darf, macht Pennac stutzig. Auch Kollege Molinos eröffnet ihr beim Abendessen im Vertrauen, dass mehrere seiner ungeklärten Fälle zu Algapower und einem Projekt namens „Mermaid“ führen, bevor er getötet wird.


Wieder einmal schafft es Leo, zusammen mit Co-Autorin Corine Jamar, mit wenigen Szenen eine plausible und lebendige Umgebung zu schaffen. Diesmal eine nahe Zukunft, in der der Eiffelturm eine abgebrochene Ruine ist (das Cover zeigt es schon), es überall in Paris von Grün nur so sprießt - der Einsatz alternativer Energien treibt (im wahrsten Wortsinn) sichtbare Blüten - und Romane Pennac in ihrem Revier als Quotenweiße gilt.

Dennoch ist der zunächst chaotisch erscheinenden Ermittlerin eine gehörige Portion Beobachtungsgabe und Scharfsinn nicht abzusprechen. Und als das Ehepaar Maubert mit dem geheimnisvollen Brief in ihrem Büro auftaucht ist sie schon so gut wie mitten drin in einem Eco-Fiction-Thriller, der bald sehr viel weitere Kreise ziehen wird, als es den Anschein hat.

Ihr ‚Kollege‘ El Malik wirkt zunächst überheblich, weiß jedoch, dass er mit ihr, deren Bruder bei Algapower angestellt ist, einen unschätzbaren Trumpf in der Hand hat. Unterschwellig, aber bereits unmissverständlich wird deutlich, dass das „weltweit führende Unternehmen in puncto Gentechnik“ sehr wohl etwas zu verbergen hat, was Roger ihr nicht offen sagen kann. Der öffentliche Mord an Molinos spricht dagegen eine deutliche Sprache, und die Luft wird plötzlich merklich dünner für das ungleiche Ermittlerteam, sodass Malik beschließt, sein Wissen endlich mit der einfachen Polizistin zu teilen, denn auch er wurde nicht zufällig für den Einsatz bei Algapower ausgewählt.

Optisch pflegt „Mermaid Project“ eine Mischung aus klassischer ligne claire und Manga. Vor allem die männlichen Figuren wirken holzschnittartig, klischeehaft überzeichnet mit teils übertriebener Mimik; Romane Pennac selbst ist eher mädchenhaft als fraulich dargestellt. Alles in allem eine ungewöhnliche Optik für eine Euro-Thriller-Serie.

Nichtsdestoweniger baut sich während der Lektüre bald eine geheimnisvolle Spannung auf, die sich zum Ende (des ersten Bandes) hin immer mehr zuspitzt. Was Pennac hier erfährt, kann man getrost als Höhepunkt des Bandes bezeichnen. Die Story nimmt plötzlich eine ganz neue Dimension an.

„Mermaid Project“ ist ein SF-Eco-Thriller, der nach einer kurzen Einleitung bald einen hohen Spannungsbogen aufbaut. Unvorhersehbare Story-Entwicklungen inklusive.