Whitley Strieber: Wolfen (Buch)

Whitley Strieber
Wolfen
(The Wolfen, 1978)
Übersetzung: Joachim Körber („Wolfen“), Heinz Zwack („The Wolfen King)
Festa, 2011, Taschenbuch 352 Seiten, 12,95 EUR

Rezension von Elmar Huber

„Nehmen wir an, sie existieren wirklich schon seit Anbeginn der Geschichtsschreibung. Wenn sie wirklich so klug sind, wie wir denken, könnten die Menschen früherer Zeiten sie für Menschen gehalten haben, die sich in Wölfe verwandeln.“

Auf dem Schrottplatz werden zwei Polizisten bei einem harmlosen Routine-Job förmlich zerfleischt. Die Fressspuren an den Leichen deuten auf riesige Hunde hin, die die Opfer förmlich ausgeweidet haben. Der Fall wird dem Team Becky Neff und George Wilson übertragen, die bald herausfinden, dass hier nichts auf gewöhnliche Hunde hinweist.

Doch schnelle Ergebnisse müssen her, und die Bevölkerung soll beruhigt werden. Während sich also die oberen Ebenen ‚in Ermangelung einer besseren Erklärung‘ mit der Hunde-Theorie zufriedengeben, pochen Neff und Wilson auf weitere Ermittlungen und werden prompt von dem Fall abgezogen. Wochen später taucht erneut eine Leiche mit vergleichbaren Fressspuren auf.

„Sie mussten mit vernichtender Gewalt über den Mann herfallen, um ihn zu erwischen, mit derselben Gewalt wie über die beiden Jungen auf dem Schrottplatz. Aber der Preis würde hoch sein; er war schwer und wohlgenährt, anders als diejenigen, die nie zwischen diese verlassenen Gebäude fanden. Er litt keinen Hunger und hatte keine Krankheiten in sich, die den Verzehr gefährlich machten. Sie liebten ihn, es gelüstete sie nach ihm, sie gingen näher an ihn heran.“


Als Profi weiß Whitley Strieber, dass auch eine phantastische Geschichte mit ihren Charakteren steht und fällt. Mit den Polizisten Becky Neff und George Wilson hat er hier ein Zweierteam mit Ecken und Kanten am Start. Beide bilden ein unschlagbares Ermittlerteam im New Yorker Polizeiapparat - ihre Aufklärungsrate spricht für sich -, doch die beiden bilden zunächst lediglich eine brillant funktionierende Zweckgemeinschaft und sind anfänglich nur in latenter Verachtung einander zugetan. Als sich beide plötzlich mit ihrer Theorie der intelligenten Wölfe allein gegen ihre Vorgesetzten sehen, entwickelt sich aus dieser Verbundenheit langsam eine spröde Zuneigung.

„Wolfen“ funktioniert also schon auf dieser Ebene hervorragend, vor allem, weil der Autor diese Annäherung sehr subtil behandelt.

Nach etwa einem Drittel beginnt Whitley Strieber, einzelne Szenen aus der Sicht der Wölfe zu schildern. Er zeigt damit, dass diese gefährlichen Jäger nicht nur intelligent genug sind, die Gefahr zu erkennen, die von Neff und Wilson ausgeht, sondern durchaus auch über Gefühle verfügen.

Parallel zu den Polizisten entwickeln die Wölfe einen Plan, ihre Verfolger auszuschalten. Die Rollen von Jäger und Gejagten verschwimmen immer mehr. Selbstsicher, ohne ein Wort zu viel, steuert „Wolfen“ so straight und unbarmherzig auf den finalen Showdown im erbarmungslosen New Yorker Winter zu.

Whitley Strieber katapultierte den angestaubten Werwolf-Mythos mit „Wolfen“ seinerzeit (der Roman ist von 1978, die vorliegende Joachim-Körber-Übersetzung erschien bereits in mehreren Auflagen als „Wolfsbrut“ bei Heyne) in die Urbanität der modernen Großstädte. Dabei räumt er auch gleich mit dem Aberglauben auf, dass es sich bei Werwölfen um Menschen handelt, die sich in Wölfe verwandeln.

Whitley Striebers Wölfe sind eine eigene, hochintelligente und evolutionär vorteilhaft entwickelte Wolfsrasse, die sich über die Jahrtausende mit zunehmender Bevölkerungsdichte immer unerkannter ihre anonymen Opfer holen konnten.


Außer dem Roman „Wolfen“ ist hier auch Whitley Striebers grober Drehbuchentwurf für eine geplante Fernsehserie namens „The Wolfen King“ (dt. „Der Werwolfkönig“) enthalten, die jedoch nie realisiert wurde. Die Geschichte beginnt dreißig Jahre nach dem Fall „Wolfen". Wilsons Nichte entdeckt in den Hinterlassenschaften ihres Onkels den Gipsabdruck einer riesenhaften Wolfspfote mit fingerähnlichen Klauen. Sie geht damit zu ihrem Uni-Professor, der ebenfalls in der Vergangenheit schon die Bekanntschaft dieser Wolfsrasse gemacht hat.


Obwohl der Drehbuch-Entwurf als ‚grob‘ bezeichnet wird, ist das Konstrukt bereits sehr ausgereift und mehr als brauchbar für eine Fortsetzung. Ein netter Bonus, den Frank Festa hier erstmals auf Deutsch an Land gezogen hat.


Cover-Motiv und -Artwork dieses Festa-Taschenbuchs sind - wie gewohnt - sehr passend kombiniert. Der Einband ist in der Festa-Lederoptik gestaltet, und insgesamt ist das Taschenbuch wieder hochwertig gearbeitet, sodass es auch nach dem Lesen noch aussieht wie neu.

„Wolfen“ ist ein moderner, dichter ‚Werwolf‘-Thriller, der das Genre seinerzeit gehörig entstaubt hat und der dank brillanter Charakter-Zeichnungen auch heute noch hervorragend funktioniert.