Das Privatleben des Sherlock Holmes - Special Edition (DVD)

Das Privatleben des Sherlock Holmes - Special Edition
GB/USA 1970, Regie: Billy Wilder, mit Robert Stephens, Christopher Lee, Colin Blakely, Geneviève Page u.a.

Rezension von Elmar Huber

London 1887: Eines Abends liefert ein Droschkenkutscher eine durchnässte und sichtlich mitgenommene Frau (Geneviève Page) bei Sherlock Holmes (Robert Stevens) und John Watson (Colin Blakely) in der Baker Street 221b ab. Der Kutscher hat die Frau aus der Themse gefischt. Auf einem Zettel, den sie in der Hand hält, steht die Adresse des Detektivs.

Zunächst hat die schöne Unbekannte keine Erinnerung mehr an die jüngste Vergangenheit, doch Holmes identifiziert sie mit seinen deduktiven Fähigkeiten als die Belgierin Gabrielle Valladon. Bald kehrt ihr Gedächtnis zurück, und sie kann den Grund ihres Besuchs erklären. Ihr Ehemann, ein Ingenieur, der für eine englische Firma arbeitet, ist spurlos verschwunden. Holmes ermittelt, dass der vermeintliche Arbeitgeber überhaupt nicht existiert.

Als sein Bruder Mycroft (Christopher Lee) dem Trio dringend nahelegt, weitere Nachforschungen einzustellen, wird Holmes’ Jagdinstinkt zusätzlich angestachelt. Die Spur führt Holmes, Watson und ihre schöne Klientin nach Inverness, Schottland, wo sich alle rätselhaften Aspekte des Falls zusammenfügen.


Eine Klientin ohne Gedächtnis, eine Firma, die nicht existiert, tote Kanarienvögel, vermisste Liliputaner, eine geheimnisvolle Gruppe Trappistenmönche und das Ungeheuer von Loch Ness. Dazu noch unterschwellige romantische Gefühle, die Holmes widerwillig für seine neue Klientin entwickelt und die die Objektivität des Meisterdetektivs trüben. Drehbuchautor und Regisseur Billy Wilder hat in seinem Spätwerk tatsächlich einen ganz großen Plan für Sherlock Holmes.

Dass er am Ende selbst nicht mit der Kinoversion seines Films zufrieden war, liegt daran, dass der ursprünglich episodenhaft gedachte Film über drei Stunden dauern sollte und vom Studio - nach einigen Flops - auf verträgliche Kinolänge gestutzt wurde („... when I came back [from Paris], it was an absolute disaster, the way it was cut“, aus „Conversations with Wilder“ von Cameron Crowe). Das Ergebnis lässt noch das große Vorhaben und die Meisterschaft des Drehbuchautors und Regisseurs erkennen, der mit zahlreichen Meisterwerken sowohl im Komödien- („Manche mögen’s heiß“, „Das verflixte siebte Jahr“, „Das Mädchen Irma la Douce“) als auch im Drama- und Thriller-Bereich („Zeugin der Anklage“, „Das verlorene Wochenende“, „Boulevard der Dämmerung“) im Gepäck zu diesem Zeitpunkt schon längst nichts mehr beweisen musste, wirkt jedoch deutlich unentschlossen.

Damit macht es „Das Privatleben des Sherlock Holmes“ seinen Kritikern unverdientermaßen sehr leicht. Zumal der Film doch nicht so straff ist, wie man nun vielleicht glauben sollte. Der Haupthandlung vorangestellt ist zum Beispiel ein verzichtbares Vorspiel, in dem Holmes als Kindserzeuger für eine russische Primaballerina herhalten soll, woraufhin er sich und Watson als Pärchen outet, während sich der Doc gleichzeitig mit einigen russischen Tanzmariechen zum Party-Deppen macht.

Auch scheint die Wahl der Darsteller nicht besonders glücklich. Trotz aller Versuche, Holmes tragische Seiten zu vermitteln, wird die Aufmerksamkeit des Zuschauers eher von Robert Stephens weibischem Make-up gefesselt als von seinen schauspielerischen Fähigkeiten. Colin Blakely als Watson chargiert gnadenlos und bleibt damit als cholerischer Hanswurst im Gedächtnis. Ein famoser Lichtblick ist dagegen die attraktive Geneviève Page, die mit ihrem zurückhaltenden Spiel die verführerische und zerbrechliche Klientin mimt und damit nicht nur Holmes um den Finger wickelt.

Diese unterschwellig brodelnde Gefühlsebene ist nur zwischen den Zeilen zu erkennen, was wieder die Kunstfertigkeit von Regisseur Wilder beweist. Die Dialoge, die sich Holmes und Watson beziehungsweise die Brüder Holmes gegenseitig um die Ohren pfeffern, zeigen ebenfalls die Handschrift eines Profis.

Zu dem Film gibt es übrigens auch einen Roman von Michael & Molly Hardwick, der unter dem spoilernden Titel „Sherlock Holmes und die Spionin“ auf Deutsch im BLITZ Verlag erschienen ist. Für ein ‚Aha-Erlebnis‘ bei den Hörspiel-Fans dürfte es außerdem sorgen, dass Robert Stephens hier von Christian Rode synchronisiert wird, der Sherlock Holmes in gleich mehreren Hörspielserien die Stimme leiht.

Löst man sich also von der Erwartung, einen ‚klassischen‘ Holmes zu sehen, ist „Das Privatleben des Sherlock Holmes“ als (bisweilen reichlich alberne) Komödie durchaus brauchbar, immerhin war mit Billy Wilder ein zeitloser Meister seines Fachs am Werk. Als Ergänzung sei auch die hervorragende Holmes-Komödie „Genie und Schnauze“ mit Michael Caine und Ben Kingsley empfohlen.