Titane (BD)

Titane
F/B 2021, Regie: Julia Ducournau, mit Agathe Rousselle, Vincent Lindon u.a.

Rezension von Elmar Huber

Nach einem Autounfall im Kindesalter bekommt Alexia (Agathe Rousselle) eine Titanplatte in den Schädel eingesetzt. In der Folge entwickelt sie ein erotisches Interesse für Autos, das so weit geht, dass sie Jahre später als aufreizende Tänzerin auf Automessen arbeitet und sogar von (sic!) einem Cadillac ‚auf der Rückbank‘ geschwängert wird. Ihre Arbeit als Tänzerin beschert ihr zahlreiche männliche Fans, die, sollten sie zu aufdringlich werden, mit einer Haarnadel durchs Ohr erledigt werden. Als ihr der Boden zu heiß wird, tötet Alexia ihre Eltern und nimmt, auf der Flucht vor der Polizei, die Identität von Adrien an, einem Jungen, der zehn Jahre zuvor verschwunden ist.

Adriens Vater, der Feuerwehrhauptmann Vincent (Vincent Lindon), ist nur allzu bereit, der jungen Frau, die sich Brüste und Babybauch mit Binden einschnürt, zu glauben. Gegen die unausgesprochenen Vorbehalte der Mannschaft gliedert er den ‚Sonderling‘ in seine Feuerwehrtruppe ein. Die ohnehin unhaltbare Situation spitzt sich immer weiter zu.


Schon mit ihrem Spielfilm-Debüt „Raw“ hat die Autorin/Regisseurin Julia Ducournau das Publikum gespalten. Ein Schicksal, das wahrscheinlich auch das eigensinnige und unbequeme Fantasy-Thriller-Drama „Titane“ ereilen wird. Doch gemäß dem Motto „Everybody’s friend is nobody’s friend“ kann man dem Streifen zumindest kein anbiederndes Mittelmaß vorwerfen. Lässt man sich auf den unkonventionellen Genre-Mix und die skurrile Handlung ein, erhält man schon jetzt (im Januar-Programm von Koch Films) eine der überraschendsten Entdeckungen des Jahres - zurecht mit der Goldenen Palme von Cannes und dem Publikumspreis der Sektion Midnight Madness beim Toronto Film Festival ausgezeichnet.

In jeder Minute ist zu spüren, dass Julia Ducournau genau weiß, was sie tut, was sie zeigen und was sie beim Publikum erreichen will. Stimmungen sind fabelhaft eingefangen, die Darsteller werden phantastisch geführt, und auch wenn man für keine der Hauptfiguren Sympathie empfindet, nimmt die Geschichte den Zuschauer doch erbarmungslos mit auf eine schmerzhafte Tour de Force.

Für Multi-Talent Agathe Rousselle ist „Titane“ ein eindringliches Debüt als Schauspielerin, das an Selbstaufgabe grenzt; absolut überzeugend, provokant und mit Mut zur Hässlichkeit. Auch Vincent Lidon („Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen“, „Hass“) legt als vom Männlichkeitswahn besessener, aber psychisch verzweifelter Feuerwehrmann mit homophilen Neigungen eine Glanzleistung ab. Extra für diese Rolle hat der Schauspieler mit seinen rund 60 Jahren noch eine beeindruckende Physis aufgebaut.

„Titane“ ist ein herausfordernder Genre-Bastard, der seine Zuschauer vor den Kopf stößt und gleichzeitig mitnimmt auf eine unvorhersehbare emotional wie körperlich schmerzhafte Achterbahnfahrt.