Luke Arnold: Totengraben (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 30. Januar 2022 11:28

Luke Arnold
Totengraben
(Dead Man in a Ditch, 2020)
Übersetzung: Christoph Hardebusch
Knaur, 2022, Paperback, 428 Seiten, 14,99 EUR (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Carsten Kuhr
Es gab einmal eine Zeit, da bevölkerten Drachen die Lüfte, Vampire herrschten nachts und die Zwerge gruben ihre Stollen. Es war die geheiligte Zeit der Magie und die Völker, die entsprechend begabt waren, regierten die Welt. Diese Zeit ist vorbei, die Magie aus der Welt verschwunden - ich bin schuld daran. Zauberer und Hexen die nicht mehr zaubern können, Elfen, die plötzlich in Minuten altern, Feen und Drachen die vom Himmel fallen - der Coda, wie das Ereignis genannt wird, hat die Machtverhältnisse drastisch umgekrempelt.
Erwähnte ich bereits, dass mir dafür - zurecht muss ich gestehen - die Schuld in die Schuhe geschoben wird? Meine früheren Freunde, viele waren es ja nie, kennen mich nicht mehr, so Manche machen Jagd auf mich - ich bin inmitten von Sunder City ein Paria.
Als Mann für alles, was ihnen in den Sinn kommt, bin ich für jeden, der mich dafür bezahlt, unterwegs. Das gilt selbst für die Gesetzeshüter - die mich einmal nicht als Hauptverdächtigen einbunkern und foltern, sondern meine Expertise anfordern. Ein neureicher Mensch wurde umgebracht: Es sieht so aus, als sei die Tat mittels eines magischen Feuerballs ausgeübt worden - etwas, das es bekanntermaßen nicht mehr gibt.
Bald schon komme ich dem Geheimnis auf die Spur: Ein zwergischer Tüftler hat eine Maschine erfunden, die mittels eines Pulvers Bleikugeln auf ihr Ziel schleudert. Der inhaftierte Apotheker ist demgemäß unschuldig, ein Unbekannter der Täter.
Als ich meine Erkenntnisse veröffentliche, nehme ich den Bullen ihre schnelle Lösung des Falls, was sie nicht unbedingt dazu ermutigt, mich zu einem Drink einzuladen. Doch wer steckt hinter dem Verbrechen und warum nur hat er einen menschlichen Industriellen, der der Stadt eigentlich nur Gutes in Form eines Kraftwerks und Arbeitsplätzen bringen wollte, umgelegt?
Die Auflösung hängt mal wieder direkt mit meiner Vergangenheit zusammen - und das bedeutet Schmerzen, das Wiedersehen mit einem alten Weggefährten, Verfolgung und jede Menge unangenehmer Wahrheiten…
Wir kennen Luke Arnold als Schauspieler unter anderem als Long John Silver aus der TV-Serie „Black Sails“. Vorliegend geht seine Mischung aus Noir angehauchten Privat Eye und Urban Fantasy in seine zweite Runde.
Wie im Auftaktband ist es der besondere Stil, in dem unser Erzähler von den Geschehnissen berichtet, der der Geschichte ihr Gepräge gibt. Lakonisch, selbstironisch, ungeschönt aber auch zynisch weiß Fetch verbal zu leiden. Und er hat auch wirklich genügend Grund, sich im Selbstmitleid zu suhlen.
Die erste Story um die Suche nach dem Täter des Mordes ist schnell gelöst - wenn auch der Falsche hinter Gittern sitzt. Doch damit ist erst ein gutes Fünftel des Buches herum - was nur will Arnold uns noch offerieren? Nun, die Offenbarungen folgen Schlag auf Schlag, zeigen uns puzzlehaft das Bild einer Welt, die ihre Zuversicht, ihre Zukunft und ihre Magie verloren hat.
Bezeichnend für diese Zeit ist die Maschine. Wie sagt der Täter auf Seite 278 so treffend? „Du hattest die Pistole in den Händen. Niemand muss einem zeigen, wie man sie hält oder wie man sie benutzt. Es ist das eleganteste Stück Bösartigkeit, das ich jemals gesehen habe. Sobald man sie in die Hand nimmt, will man sie abfeuern. Es ist beinahe unmöglich, es nicht zu tun.“
Es ist eine Welt, die all ihren Glanz, ihre Zuversicht und ihr Glück verloren hat. Eine Welt, in der man mehr vor sich hinvegetiert, als dass man in ihr lebt. Eine Bühne, die depressive Tristesse ausstrahlt, die vom glamourösen Zeitalter der Magie in die dreckige industrielle Ära schlittert.
Insoweit spiegeln die Figuren nur diese Transformation wider. Sie sind oftmals haltlos, verbittert oder aber gnadenlos und habgierig - wahrlich keine einfachen Figuren, denen man gerne ins Abenteuer folgt. An der Spitze unser Erzähler - ein Mensch, ein Verräter, ein Gescheiterter der seinem Umfeld nur Unglück beschert, obwohl oder gerade weil er es gut meint, alles richtig machen will. Doch so einfach ist das Leben unter Luke Arnold nicht. Uns und Fetch begegnet viel Verzweiflung und schiere Not - aber eben auch interessante Figuren. Wie sagte der legendäre Reich-Ranicki einmal? „ich interessiere mich nur für Menschen, die Leiden.“ Auch wenn er einen Fantasy-Roman nicht mit der Kneifzange angefasst hätte, das Leiden der Figuren hätte ihm auf jeden Fall gefallen!