Marie Rust: Bis zum letzten Atemzug! (Buch)

Marie Rust
Bis zum letzten Atemzug!
Blue Panther Books, 2021, Taschenbuch, 216 Seiten, 12,90 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Über die Autorin, die unter dem Namen Marie Rust schreibt („Du gehörst mir!“, „Bis zum letzten Atemzug!“) erfährt man, dass sie Jahrgang 1974 und verheiratet ist, ferner ihren beruflichen Werdegang in die eigenen Hände nahm, weil sie mit ihrer Rolle als Frau und dem, was andere von ihr erwartet haben, nicht einverstanden war.

Entsprechend charakterisiert sie die weiblichen Hauptfiguren ihrer Romane, die in einer zeitgenössischen, teil-feministischen Welt - ja, ausgerechnet! - ihren Mann stehen müssen: Sie arbeiten, führen den Haushalt, bedienen die Bedürfnisse des Lebensabschnittsgefährten und bekommen Panik, wenn dieser sie in ein langweiliges Ehe-/Familienleben hinein heiraten möchte, vor allem weil der softe Typ mit Dutt, ökologischen Second-Hand-Klamotten und Lastenfahrrad sie und die Kinder vor einem ‚richtigen Kerl mit Tattoos und Piercings‘ (oder sonstigen aktuellen ‚Kerl-Attributen‘) eh nicht beschützen kann.

Das führt in „Bis zum letzten Atemzug!“ zu der Frage, ob das wirklich alles ist, was das Leben einer Frau beziehungsweise der Protagonistin zu bieten hat


Nach einer großen Enttäuschung wendet sich Sylvia einem Dating-Portal zu und erhält eine Antwort, die ihr nicht wirklich Hoffnung macht. Erik, ein Psychologe, behauptet, genau zu wissen, was sie sich wünscht und braucht. Weil er jedoch vage bleibt und auf ihre Nachfrage nicht reagiert, will sie das Date platzen lassen, fährt dann aus Neugier, was das wohl für ein überheblicher, von sich überzeugter Macho sein mag, trotzdem zum Treffpunkt und wird von Erik überrascht.

Nach einigem Überlegen geht sie auf sein ungewöhnliches Angebot ein und muss fortan erneut mit Zweifeln kämpfen, ob er tatsächlich der Richtige ist. Immer wieder geschehen Dinge, die sie verwirren, die sie so nicht akzeptieren kann, gegen die sie sich wehrt und nach denen sie sich, selbst wenn ihr der Ausbruch aus der Abrichtung gelingt, wider Erwarten sehnt. Jedoch der Alltag, wie sie ihn bisher kannte, ängstigt sie plötzlich.

Denn zu tief wirkt innerhalb kürzester Zeit Eriks Konditionierung, die Sylvia in die perfekte Sklavin verwandeln soll. Obwohl sie schnell begreift, dass er sie, wie etliche andere Frauen zuvor, durch diese Maßnahmen lediglich für Gleichgesinnte, von denen sie einer ersteigern wird, vorbereitet und sich schon deshalb jegliches persönliche Interesse an ihr verbietet, verliebt sich Sylvia in ihn. Alle ihre Bemühungen, sich von ihm zu lösen, scheinen zum Scheitern verurteilt und ein Happy End unmöglich.


Die Problematik des Buchs - einander gegenübergestellte mehr oder minder extreme Lebensentwürfe statt ‚goldene Mitte’ und Sylvias Einführung in eine ihr völlig neue Welt - speist die Handlung.

Es geht um Frauen und Männer, die sich nach einer Beziehung sehnen, in der sie, unabhängig von Zeitgeist und Gesetz, sein dürfen, was sie sind/sein wollen: Diese Frauen sehnen sich danach, dass man ihnen höflich und zuvorkommend begegnet (die Tür öffnet, schwere Lasten abnimmt, am Tisch den Stuhl zurechtrückt, an der Garderobe in den Mantel hilft), ihre sämtlichen Bedürfnisse, einschließlich der sexuellen, erfüllt, ihnen jegliche Verantwortung abnimmt und sie im Falle einer Bedrohung beschützt. Ihre Männer sind der unumstrittene Herr im Haus, deren Wünsche sind Befehl und widerspruchslos auszuführen (auch Praktiken jenseits von Vanilla-Sex, das ‚Ausleihen‘ an andere Herren), anderenfalls werden strenge Strafen verhängt.

Um die Vorzüge eines solchen Arrangements aufzuzeigen, werden subtil Kontrast-Bilder generiert von frustrierten Feministinnen & Co., die sich im permanenten Kampf gegen das Patriarchat wähnen, bereits auf Höflichkeiten und Komplimente beleidigt reagieren und Artigkeiten schon aus Prinzip im Namen aller ‚xxx GeschlechtsgenossInnen‘ ablehnen. Nun, diese Klientel ist gewiss nicht die Zielgruppe eines „Herrenclubromans“, und devote Frauen, die einen Herrn suchen, werden wiederum kaum in jenen Kreisen zu finden sein. Allerdings bleibt es bei den wenigen Seitenhieben auf eine Ellbogen-Gesellschaft, in der sich Frauen irgendwie durchschlagen müssen und nicht einmal ahnen, was sie mit dem ‚richtigen Mann‘ - besser: Herrn haben könnten.

In die gleiche Kerbe schlagen Rico, Sylvias vorheriger Freund, und die üblichen Softies. Sie verkörpern als standardisierte, zunächst partybegeisterte Durchschnittstypen, die dann behäbig werden und langfristig von der Ein-Kind-Familie mit Hund träumen, womöglich noch einen Zweitwagen anschaffen und auf ein Eigenheim sparen, den langweiligen Spießer (die bereits abbezahlte Villa und die Limousine von Doktor Erik stehen hingegen auf einem anderen Blatt…). Auch die gewalttätigen und Frauen verachtenden Möchtegern-Doms dienen mehr der Abschreckung und weniger als Warnung, wie leicht man an den Falschen geraten kann.

Der Preis, den Erik und seine Geschäftspartner als dominante Herren für Sicherheit und Luxus von ihren Sklavinnen verlangen, sind die absolute Aufgabe der Eigenverantwortung und die totale Abhängigkeit. Selbst Kleinigkeiten wie ihr Auftreten wird den Frauen strikt vorgeschrieben, zum Beispiel das Drehen der Füße nach innen (bei Mangas/Animes signalisiert das Schutzbedürftigkeit, Niedlichkeit). Obschon Sylvia immer wieder rebelliert, kommt sie bereits nach wenigen Tagen von Zuckerbrot und Peitsche nicht mehr los und findet sich in der Freiheit nicht mehr zurecht.

Wenn diese Form der Umerziehung wirklich so schnell und tiefgreifend funktioniert, ist das nicht erotisch, sondern höchst beängstigend, vor allem wenn man den geschilderten Spielarten (Dominanz/Unterwerfung, Strafe/Belohnung, Bondage/Freiheitsberaubung, Spanking/Ohrfeigen, Natursekt und so weiter) nichts abgewinnen kann.

Für viele Leser dürfte der Titel wie ein Blick in eine fremde Welt sein, die man womöglich im Rahmen eines Rollenspiels mit festgelegten Grenzen ausprobieren mag - deren Extreme jedoch Frauen, die weiblich und stark zugleich sind und die sich einen genauso starken, respektvollen Mann wünschen, mit dem man sich in der Partnerschaft ergänzt, eher abschrecken.

Das Buch ist durchaus spannend und unterhaltsam geschrieben, doch werden sich nur Teile des Publikums sowohl mit diesem Rollenverständnis als auch mit den Praktiken anfreunden können.