Paul Sanker: YOLO - Wir treffen uns im nächsten Level (Buch)

Paul Sanker
YOLO - Wir treffen uns im nächsten Level
Titelbild: Andreas Schwitzke
p.machinery, 2021, Paperback, 364 Seiten, 16,90 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Hendrik Wanker ist einer, der es im wirklichen Leben nie zu etwas bringen wird. Der Vater hat früh die Fliege gemacht - so wie in gestorben, also endgültig, da kommt auch keine Kohle mehr - die Mutter kümmert sich um ihren Filius nicht unbedingt liebevoll. Sicherlich, die Gesamtschule hat er mit einem 3er Abitur abgeschlossen und zum Bund muss er Dank seiner Plattfüsse auch nicht, aber sonst?

Seine Mutter hat alte Gefallen eingefordert, so dass er in einer kleinen Wohnung, nach einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei einem örtlichen Discounter gekommen ist. Dumm, dass der Lohn nie bis zum Monatsletzten reicht. Zwar bekommt er seine Tiefkühlpizza und die Chips verbilligt, die Aufrüstung seiner Game-PCs aber reißt immer riesige Löcher ins Konto.

Zusammen mit seiner kurz geratenen und etwas ins Kugelförmige gehenden Gestalt - nicht, dass er wirklich adipös wäre, doch der Weg dorthin ist bereits eingeschlagen - ist er nun auch optisch nicht wirklich ein Typ, dem die Frauen nachlaufen würden. Ergo: keine Kohle, kein Aussehen, kein Charisma ergibt Verlierer.

Doch eine Sache gibt es, in der Hendrik so wirklich richtig, richtig gut ist. Im Onlinespiel „Kingdom of Fantasy“ (KoF) hat er das 96. Level erreicht, dort ist er eine lebende Legende. Er führt unter dem Namen hard2drive eine Gilde an, plant und leitet überaus erfolgreiche Questen. Bei einem dieser Abenteuer ergattert er einen magischen Armreif - mit drastischen Folgen.

Im Game wird er bedrängt, den Reif wieder rauszurücken - im wirklichen Leben fliegt er aus der Wohnung und verliert seinen Job. Sein üblicher Pfandleiher, bei dem er das Familiensilber gegen Bares eingetauscht hat, will ihm für den komischerweise aus dem Game in die Realität mitgenommenen Reif nur Zwanzig EUR zahlen.

Sein Leben wird so richtig interessant, nimmt Hendrick in der Folgezeit doch immer wieder Gegenstände - einen Blutstropfen, dann ein welkes Blatt - aus der virtuellen in die reale Welt mit. Als Figuren, die er im Game tötet; auch in der Realität das Zeitliche segnen ahnt er, dass er die Pest an der Hacke hat.

Jemand bläst zur Jagd auf ihn und seine Gilde. Einer nach dem anderen wird umgebracht, bis nur mehr Hendrik und sein junger Freund Tobi am Leben sind. Und auch für diese Beiden sieht es wahrlich nicht gut aus.


Der Roman, vielleicht gar die letzte Veröffentlichung des Autors (der laut Verlagsseite überlegt, seine Tätigkeit als Wortschöpfer ad acta zu legen), erinnert vor der Anlage an die bekannten Romane, die in Rollenspiel-Games spielen. Das Subgenre boomt fast überall, nur bei uns tun sich die Verlage schwer, derartige Kost an ihre Leser zu bringen.

Vorliegender recht umfangreicher Roman verwöhnt den Leser nicht wirklich mit sympathischen Figuren. Weder der Protagonist, noch seine Mitkämpfer - von den Gegnern wollen wir einmal gar nicht reden - sind Menschen, die man gerne kennenlernen möchte. Sie alle haben ihre Probleme, ihre Psychosen und ihre Aggressionen, die sie zunächst im Spiel, dann in der Realität ausleben.

Das Besondere im Plot, die Vermischung von Realität und Spielewelt, verleiht dem Roman sein Gepräge. Hier konnte mich der Verfasser einfangen und in seine Imagination mitnehmen.

Leider ist dies letztlich ein Bisschen zu wenig, um die Lektüre wirklich zum Selbstläufer zu machen. So manches Mal wollte ich unserem Erzähler zurufen, doch seine Augen zu öffnen, Offenkundiges wahrzunehmen und entsprechend zu handeln – naturgemäß, vergeblich.

Leser, die aus der Gamer-Szene kommen werden dem Plot mit anderen Augen und vielleicht weit faszinierter folgen, als ich. Für mich zog sich die Handlung ein wenig, hätte eine Straffung der Lektüre gut getan. Letztlich bleibt also ein ambivalenter Eindruck eines Romans, der aktuelle Moden aufgreift, versucht Gamer und Leser zu verbinden - wobei dies aber nur teilweise gelingt.