Lovecraft Letters 2, Christian Gailus (Buch)

Lovecraft Letters 2
Christian Gailus
Titelbild: Timo Wuerz
be-ebooks, 2017, eBook, 1,99 EUR

Rezension von Elmar Huber

„Molly öffnete die Augen und erschrak. Eine Art Schlauch führte von ihrem Mund weg und mündete in einem dunklen Korpus, der sich schlangengleich durchs Wasser bewegte. Der Anblick erinnerte Molly an einen Oktopus, aber der konnte sie mit seinen Tentakeln ja nicht mit Sauerstoff versorgen. Was noch merkwürdiger war: Die unbekannte Kreatur zog Molly immer tiefer, wie sie am abnehmenden Sonnenlicht erkennen konnte. Betrachtete das unbekannte Wesen sie als Beute und hielt sie deshalb am Leben, um sie später frisch geschlachtet zu verzehren? Molly kam kein Tier in den Sinn, das zu so etwas fähig wäre. Jedenfalls nicht in dieser Größenordnung. Und nicht in einem Bergsee in Neuengland.“

Der zuständige Richter entzieht Ray den Fall Coleman, von seinem Arbeitgeber wird er zwangsbeurlaubt. Unter den Eindrücken von Colemans Schilderungen über Lovecraft nutzt Ray die neugewonnene Freizeit und sucht seine alten Bücher des Autors zusammen. Bei der Suchaktion fällt ihm auch eine Zeitung und ein Bild in die Hände. Die Zeitung berichtet von einem Landstrich nahe Boston, der über keinerlei Vegetation verfügt. Das Bild, die Fotografie einer abgelegenen Waldhütte, erinnert ihn daran, dass Ray selbst der Besitzer dieser Hütte ist. Die Erbschaft seines ihm unbekannten Großonkel Weston Carter, die er, aufgrund der Bedeutungslosigkeit für ihn, völlig vergessen hatte. In Colemans Lagerhalle, wo die Lovecraft Memorabilien lagern, hat Ray außerdem ein befremdliches Erlebnis; es scheint, als hätte Coleman schon lange vor seinem Treffen mit Ray gewusst, dass dieser eines Tages dieses Lager aufsucht.

Timon Fisher, ein ehemaliger kleiner Rauchgifthändler erlangt nach Wochen in den Händen eines Drogenclans und ebenso langer Polizeihaft auf wundersame Weise seine Freiheit wieder. Ein Erlebnis, das ihn zu Gott finden und die ‚New Church of The Holy Spirit‘ gründen lässt, die zu einem gewaltigen Magneten für Gestrandete aller Art wird. Als seine Frau Elsbeth an Brustkrebs erkrankt, erfährt er von einem Wunderpulver, einem angeblichen neuen Krebsmedikament in der Testphase, das Elsbeth tatsächlich heilt, solange sie es regelmäßig einnimmt. In Wahrheit stammt das Pulver aus einem gefährlichen Tauschhandel mit Wesen, die in Tunneln unter der Wüste Mexikos leben. Die Gier der Verkäufer erregt den Unmut der Wesen, von denen eines an die Oberfläche kommt.

„Ray konnte sich nicht daran erinnern, wie er an diese Zeitung gekommen war. Rasch überflog er den Inhalt und blieb bei einem Bericht über ein Gebiet südwestlich von Boston hängen. Dort gab es einen Landstrich, auf dem es seit Jahren keinerlei Vegetation mehr gab. Stattdessen war der Boden mit feinem Staub bedeckt. Die umstehenden Bäume waren krank und verkrüppelt. Der Grund für das Phänomen war bislang nicht gefunden worden. Die Wissenschaftler standen vor einem Rätsel.“


Bevor es mit der Handlung um die Hauptfigur Ray weitergeht, holt Autor Christian Gailus etwas aus, um seine Leser an einen einsam gelegenen neuenglischen See zu holen, in dem eine junge Studentin zu ertrinken droht, bevor sie von einem seltsamen Wesen nicht nur gerettet, sondern auch gleich geschwängert wird. Eine Begebenheit die kurz darauf einen Kreis eröffnet, der am Ende der Episode wieder brutal geschlossen wird.

Der zwangsbeurlaubte Ray Berkeley frönt derweil dem Müßiggang und stößt beim Schwelgen in der Vergangenheit auf längst vergessene Spuren, die ihn fast unmerklich immer mehr in Beschlag nehmen. Auch sein Umfeld bemerkt die schrittweise Wesensänderung des Psychologen, der plötzlich seine sexuellen Triebe massiv im Zaum halten muss und einige Male mit Blackouts zu kämpfen hat, sodass möglicherweise auch der Leser nicht alles mitbekommt.

Dazu werden die Ereignisse in Rays Umfeld immer beunruhigender: Staatsanwältin Hattfield, seine Gegenspielerin im Fall Coleman, wird brutal ermordet, und rund um das Haus der Berkeleys geschehen ebenfalls einige schockierende Dinge. Damit spinnt sich aus verschiedenen Richtungen ein immer dichter werdendes Netz um Ray, und Colemans Andeutung, dass er, Ray, ein Auserwählter im Kampf gegen das Böse sei, klingt immer weniger grotesk.

Der Sub-Plot handelt von Wesen, die in Höhlen unterhalb der Wüste von Tijuana leben und offenbar Lieferanten eines - im wahrsten Wortsinn - Allheilmittels sind, doch auch brutale Raubtiere, die sich am Schmerz ihrer Opfer weiden. Eine Szene hier lässt eine leichte Anlehnung an Lovecrafts „Das Ding auf der Schwelle“ erkennen, während sich die Haupthandlung mit der ‚Entdeckung‘ von Rays Hütte in Richtung „Die Farbe aus dem All“ bewegt.

Vieles bleibt natürlich auch hier offen, und man darf gespannt sein, wie Christian Gailus alles miteinander verknüpft.

Es ist zu früh um schon Antworten zu liefern. Stattdessen zeichnet Christian Gailus weiterhin in hohem Tempo an einem großen Gesamtbild. Auf jeden Fall spannend und geschickt genug, um auch den Lovecraft-Kenner mit vertrauten Motiven weiter anzufüttern.