Arthur Dziuk: Das Ting (Buch)

Arthur Dziuk
Das Ting
dtv, 2019, Hardcover, 464 Seiten, 19,00 EUR, ISBN 978-3-423-23006-3 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Karl E. Aulbach

„Das Ting“ ist das Roman-Debüt von Arthur Dziuk, einem jungen polnischen Autor, der in Berlin und Hildesheim studiert und mit dem Master of Arts im literarischen Schreiben abgeschlossen hat. Gelernt ist gelernt, kann man da nur sagen. Der Einstand ist sehr gut gelungen. Den Autor sollte man auf jeden Fall im Auge behalten, selbst wenn nicht sicher ist, dass er weiter Bücher mit SF-Anteil schreibt.

In „Das Ting“ ist der SF-Anteil jedenfalls absolut spannend, und einige Visionen daraus könnten schon in sehr naher Zukunft Realität werden. Während in den letzten Jahren die Luft für SF-Autoren im Beschreiben von Near-Future-Storys doch sehr dünn geworden ist beziehungsweise es an Ideen mangelt und häufig nur noch banale Endzeit-Themen oder Military SF den Markt beherrschen, greift Dziuk eine eigentlich auf der Hand liegende Entwicklung auf und verknüpft diese ganz im Sinne guter SF mit moralischen und ethischen Fragen.

Am Rand geht er in seinem Buch selbst darauf ein, indem er sinngemäß schreibt, dass die SF-Literatur fast tot ist, weil sie derzeit ganz schnell von der Gegenwart überholt wird. Viele kennen Apps, die zum Beispiel Schritte zählen, Puls messen, Diabetes-Daten erfassen und vieles andere mehr. All das gibt es bereits.

Ein Start-up aus vier Personen aus den unterschiedlichsten Bereichen plant nun mit dem Ting eine Weiterentwicklung davon. Es misst alle möglichen Werte und - das ist neu - auch die Umgebungsdaten und gibt daraufhin, gestützt durch eine Künstliche Intelligenz, die die Daten auswertet und analysiert, konkrete Handlungsempfehlungen für die jeweilige Situation.

In der einfachsten Form merkt das Programm einen Vitaminmangel und empfiehlt einen Apfel zu essen, oder es empfiehlt ein Aufbauprogramm in Form von Joggen, rechtzeitig Schlafen, und Ähnlichem. Die Empfehlungen werden zunächst aufs Handy übertragen, also sehr realistisch und bald denkbar.

Der Autor hat sich nicht darauf beschränkt und im Rahmen eines Updates eine telepathische Funktion eingeführt, die die Handlungsempfehlung direkt in den Geist des Anwenders sendet. Dabei hat er leider übersehen, dass eine derart krasse Fortentwicklung ungeahnte andere Anwendungsmöglichkeiten bieten würde, die die ursprüngliche Idee, zumindest was den finanziellen Erfolg betrifft, zurücktreten lassen würde. Witziger Weise hat er selbst das passende Beispiel geliefert, indem er das Ting rechtzeitig eine Warnung vor einem Verkehrsunfall aussprechen lässt.

Dabei bleibt es allerdings nicht. In einem weiteren Update, das man wieder viel realistischer einschätzt, gibt es keine geistige Empfehlung mehr, sondern Entscheidungen werden durch biochemische Reaktionen beeinflusst. Man hat zum Beispiel ein ungutes Bauchgefühl und entscheidet sich daher gegen eine Handlung. Dabei verschwimmt der Unterschied immer mehr - der Anwender merkt also gar nicht mehr, ob das nun wirklich sein eigenes Unbehagen war oder ein vom Ting initiiertes.

Am Beispiel der vier Unternehmensgründer, alles ganz unterschiedlich gestrickte Gestalten, verdeutlicht der Autor die Auswirkungen. Um das Ganze besonders drastisch darzustellen, führt er eine Zusatzklausel in den Unternehmensvertrag ein, dass die Vier unter Androhung des Verlusts der Teilhaberschaft jede Empfehlung des Ting befolgen müssen. Das führt zu drastischen Ergebnissen, als das Ting dem einen empfiehlt, seine Verlobte zu verlassen und dem anderen, für einen Geschäftstermin die Kommunion seines Patenkinds sausen zu lassen.

Die Geschichte schreit geradezu nach Charakter-Beschreibungen. Zwischendurch hatte man mal den Eindruck, dass die etwas zu kurz kämen, aber der Autor hat sich da noch Einiges fürs Finale aufgespart. Interessant an der Geschichte ist, dass man richtig mitfiebert; es gern sehen würde, die Handlung selbst in eine (andere) Richtung zu führen und - es hilft ja alles nichts - dann doch dem Autor auf seiner Linie folgt. Jedem selbst ist aber überlassen, darüber nachzudenken, was ihm im Leben wirklich wichtig ist. Genau dazu gibt das Buch, übrigens auch äußerlich sehr gelungen in der Gestaltung, eine gute Anregung.